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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter
Autoren: H Anderegg
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haben Spuren an der Kleidung gemessen. Keine nennenswerte Dosis.«
    Damit war das Thema für Ted erledigt, aber George bohrte weiter: »Thorium?«
    Sein Kumpel nickte stumm. Er warf ihm einen Blick zu, in dem die Angst deutlich zu erkennen war. Nicht die Angst um seine Gesundheit, die viel schlimmere Angst um seine Zukunft.
    Der Betrieb stand still, bis auf die Arbeit der zehn Spezialisten, die das gigantische, fünfhundert Fuss tiefe Loch gründlich und mit dem Tempo einer altersschwachen Schnecke untersuchten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Funkspruch aus dem Walkie-Talkie des Vorarbeiters die Männer elektrisierte:
    »Quadrant eins sauber.«
    Kollektives Gemurmel war die Antwort. Die Spannung hielt an. Quadrant eins war keine aktive Zone. Der Abbau konzentrierte sich auf die gegenüberliegende Seite des Kraters. Die Quadranten drei oder vier mussten in Ordnung sein, damit die Arbeit weitergehen konnte. Wieder dauerte es eine geschlagene Stunde, bis sich die metallische Stimme im Lautsprecher meldete. Diesmal klang sie äußerst ungehalten:
    »Was haben die Kerle im Drei zu suchen, Ben? Ich sagte doch keiner geht rein, bis wir durch sind. Die sollen sofort verschwinden, verdammt noch mal.«
    »Welche Kerle? Unsere Leute sind hier. Wir haben niemanden im Pit.«
    Im Funkgerät knackte und rauschte es eine Weile, dann sagte der Sprecher: »Sie haben’s begriffen. Sie ziehen ab. Du zählst mal besser nach, Ben.«
    Das Gerät schwieg. Der Vorarbeiter und seine Männer starrten sich verblüfft an. Schließlich zuckte Ben die Achseln und brummte: »Die sollen lieber einen Zahn zulegen.«
    Die Männer der Nachtschicht verließen das Gebäude, um sich endlich zu Hause schlafen zu legen. Sie taten gut daran, denn erst am Mittag kam endlich die erlösende Meldung. Der Abbau konnte im Sektor drei wieder aufgenommen werden. Eingeschränkt und mit behelfsmäßigen Zufahrtswegen, aber immerhin. Mysteriöse Thoriumspuren fand man nur im Quadrant vier, wo sich die Arbeiter kontaminiert hatten. George spürte eine Erleichterung, wie nach der Geburt seiner kleinen Jane. Den übrigen Männern der Schicht erging es wohl nicht anders. Geradezu aufgekratzt setzten sie die Schutzhelme auf, bestiegen laut schwatzend und lachend die Transportvehikel und fuhren zu ihren schweren Geräten in den Pit.
    George störte sich nicht daran, dass er seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatte. Er saß auf seinem Steinfresser, und das war jetzt alles, was zählte. Notfalls hätte er auch ohne Pause bis zum Abend durchgearbeitet. Janes Lunchpaket musste sich noch ein wenig gedulden. Während er wartete, bis sich der Laster für die nächste Ladung positionierte, schweifte sein Blick hinüber zum Sektor zwei. Dort schien sich das gesamte Management der Mine zu versammeln. Selbst von Weitem bemerkte er ihre Nervosität. Der Tanz der Weißhemden mit ihren Schlipsen um die kleine Gruppe der Geologen amüsierte ihn.
    »Hoffentlich haben sie den Buchhalter nicht vergessen«, grinste er und fuhr den unteren Ausleger aus.
    In diesem Augenblick erschütterte die erste Explosion den Krater. Er fuhr zusammen, als hätte der Blitz in seinen Bagger eingeschlagen. Sprengungen waren beinahe alltäglich in der Mine, aber erstens hörte sich dieser Knall ganz anders an und zweitens ... Verstört hob er den Kopf, schaute zum Kraterrand empor, wo sich die Explosion ereignet hatte. Die Baggerschaufel schwebte ungeleert über der Ladefläche, während er mit offenem Mund und aufgerissenen Augen zuschaute, wie Verwaltungsgebäude und Aufbereitungsanlagen in Flammen aufgingen.
    »Heiliger Strohsack«, keuchte er. Mit zitternder Hand betätigte er den Hebel zum Leeren der Schaufel, fuhr den Ausleger in die Sicherheitsposition und schaltete den Motor ab. Er konnte die Augen nicht vom höllischen Höhenfeuer abwenden. Er stieg aus, stolperte und fiel der Länge nach hin. Von einer Sekunde auf die andere hatte sich sein gewohnter Arbeitsplatz in die unbegreifliche Kulisse eines surrealen Theaters verwandelt. Am meisten wunderte er sich über die Stille, während er sich aufraffte. Kein Alarm ging los, keine hektischen Rufe, kein lautes Geschrei. Die Zentrale seiner Mine verbrannte vor den Augen der Belegschaft, als hätten sie sich hier in stiller Andacht zu einer abartigen Opferzeremonie versammelt.
    Die Ruhe währte nicht lange. Die zweite Explosion klang dumpfer. Der Boden zitterte unter Georges Füßen. Das Echo des Knalls war noch nicht verhallt, als es zu
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