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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter
Autoren: H Anderegg
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Stelle festnagelten und beinahe in die Knie zwangen, als hätte sie ihn im Würgegriff. Er schnappte nach Luft, bevor er mit heiserer Stimme fragte:
    »Entschuldigung, kennen wir uns?«
    Sie lachte. Es war ein warmes, melodiöses Lachen, das gar nicht zu ihrem hypnotischen Blick passte. »Jetzt schon«, antwortete sie. »Verzeihen Sie, dass ich Sie so überfalle. Mein Name ist Mei Tan.« Sie senkte ihre Stimme, dass die Umstehenden nicht zuhören konnten. »Herr Stanley Wu möchte etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.«
    Der Name elektrisierte ihn. Jeder Spieler kannte ihn. Er war beinahe so berühmt, oder besser berüchtigt, wie der Name des unbestrittenen Königs von Macao, Stanley Ho, dessen silbergrauen Rolls-Royce mit dem Kennzeichen ›HK 1‹ man früher oft in der Stadt gesehen hatte. Auch Wu sagte man unermesslichen Reichtum nach. Wenn Stanley Wu einen zu sprechen wünschte, lehnte man nicht ab. So einfach war das. Beinahe hätte er den Namen vor Überraschung laut ausgerufen. Im letzten Moment hielt er sich zurück, zwang sich innerlich zur Ruhe. Man redete nicht laut über Stanley Wu. Aber konnte er dieser Unbekannten trauen? Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Einige Augenblicke versuchte er vergeblich, sich zu konzentrieren. Sie wusste seinen Namen. Hatte Stanley Wu ihn beobachten lassen, sich über den einfachen Elektronik-Ingenieur aus Taiwan erkundigt?
    »Warum – was will Herr Wu von mir?«, stammelte er verlegen.
    Ihr Mund lächelte. Die Augen hörten nicht auf, ihn zu hypnotisieren. »Folgen Sie mir bitte, Dr. Chen.«
    Wie ein braves Schosshündchen trippelte er hinter ihr zum Ausgang. Er dachte nicht mehr an die Chips in seinem Jackett. Auch die appetitlichen Beine in den hochhackigen Stöckelschuhen vor ihm beschäftigten ihn nicht. Seine Gedanken waren bei Stanley Wu und seiner wundersamen Geldmaschine. Er konnte noch immer nicht fassen, dass ihn diese lebende Legende zur Audienz lud, als er bereits hinter dunklen Scheiben im Fond der Limousine saß. Die geheimnisvolle Chinesin neben ihm brauchte kein Wort mit dem Fahrer zu wechseln. Es war offensichtlich klar, wohin die Reise ging. Sie schwiegen auf der kurzen Fahrt. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber die Umstände der unerwarteten Begegnung schüchterten ihn ein. Hundert Fragen stauten sich in seinem Kopf, aber er wagte nicht, die seltsam vornehme Ruhe zu stören. Einmal, kurz bevor der Wagen anhielt, blitzte draußen der leuchtende, wässrig blaue Opal des ›Altira‹ auf. Er hatte das Luxushotel nur einmal zur Entspannung nach einem verlustreichen Tag betreten. Von der Lounge auf dem Dach hatte man den spektakulärsten Blick auf die Halbinsel Macao. Und der Nachtwind im 38. Stock eignete sich vorzüglich, den Kopf durchzulüften.
    »Willkommen im Altira«, grüßte der Page, der ihnen die Tür aufhielt.
    Mei Tan ging achtlos an ihm vorbei zu den Aufzügen. Danny erwartete, dass die Besprechung in einer der Villen in den obersten Stockwerken stattfinden würde. Dort, wo normal Sterbliche keinen Zutritt hatten, es sei denn, sie wischten den Dreck der Reichen weg. Er war fast ein wenig enttäuscht, als sie nach einer Odyssee durch die parfümierten Kühlschlangen der Hotelkorridore eine unscheinbare Tür ohne jedes Kennzeichen öffnete. Sie betraten einen geräumigen Saal. Elegante Lüster an der Stuckdecke tauchten den Raum in weiches, weißes Licht. Den Wänden entlang standen mächtige vergoldete Marmorsäulen, als müssten sie die schwere Deckenkonstruktion tragen. Mäander aus exotischen Hölzern bildeten das exklusive Parkett. Kitschiger Pomp zwar, aber alles aus erlesenem Material und mit Sicherheit schweineteuer. Sein Puls schlug unwillkürlich schneller, als er die vier schweren Tische erblickte. Sie waren mit grünem Filz bespannt – Spieltische. Nur an einem saßen drei Männer in schwarzen Lederpolstern. Sie kehrten ihm den Rücken, schienen sich nicht um die Eindringlinge zu kümmern.
    Mei machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Tisches und sagte: »Herr Wu erwartet Sie.« Dann zog sie sich mit einer angedeuteten Verbeugung zurück und stellte sich als stumme Wächterin neben die Tür.
    Der kleine grauhaarige Mann in der Mitte erhob sich. Er drehte sich um und winkte Danny wie einen alten Bekannten herbei. »Setzen Sie sich, Dr. Chen«, forderte er ihn lächelnd auf. »Leisten Sie uns Gesellschaft bei einem Spielchen.«
    Stanley Wu sah zwar älter aus als auf den Fotos in den Zeitungen, aber sein rundes,
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