Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Antonow
Vom Netzwerk:
sich an einem Wasserhahn, der an ein rostiges Fass angeschweißt war. Dann nickte er dem Bekannten zu, der fürs Teekochen zuständig war, nahm einen Becher mit dem herben Pilzgebräu vom Tisch und setzte sich auf eine freie Bank.
    Während er an seinem Tee nippte, ließ er den Blick über den Bahnsteig schweifen und hörte den Händlern zu . Vielleicht wurde ja irgendwas Bemerkenswertes besprochen. Womöglich etwas, das mit seiner düsteren Vorahnung zu tun hatte …
    »Grünschnabel!«, ereiferte sich jemand in der Nähe. »Eine Draisine vom Ochotny rjad zur Twerskaja ? Kannst du voll vergessen. Da müssten wir schon zu Fuß durch den Tunnel latschen.«
    Tolik drehte den Kopf. Die Stimme gehörte einem älteren Händler, der mit einem khakifarbenen, zerknitterten Mantel bekleidet war. Unter seinem breitkrempigen Hut lugten graue Strähnen hervor. Der Mann saß auf einer riesigen Reisetasche und redete auf einen jungen Kollegen ein. Der »Grünschnabel«, ein schmächtiger, sommersprossiger Kerl, trug eine Trainingshose und eine löchrige Wattejacke, aus der das Futter herausquoll.
    »Na und? Dann gehen wir eben zu Fuß«, beschwichtigte der junge Mann. »Werden uns schon nicht gleich die Beine abfallen.«
    »Die Beine nicht, aber der Kopf. In diesem Tunnel lebt nämlich Mamotschka, Freundchen. Schon mal gehört? Mit der ist nicht zu spaßen. So schnell kannst du gar nicht schauen, wie sie dich in einen Seitentunnel lockt. Und dann bist du geliefert! Gibt’s doch nicht, dass du von der nichts weißt. Das ist so eine Tante mit einem zerschlissenen Mantel, die barfuß und mit offenem Haar durch den Tunnel läuft und die Passanten um Almosen anbettelt. Sie hat immer einen quengelnden, vielleicht fünfjährigen Jungen dabei. Wenn Mamotschka dann ihren Spruch loslässt – ›Nur eine Kleinigkeit für was zu essen, liebe Leut!‹ –, hallt ihre Stimme gespenstisch an den Tunnelwänden wider und hört sich an wie Wolfsgeheul. Da kriegen selbst die abgebrühtesten Kerle weiche Knie …«
    »Und wenn man ihr was zusteckt? Zwei Patronen oder so?«
    »Das hat schon mal einer von uns gemacht. Petka von der Baumanskaja . Der hat ihr was zugesteckt. Und als sie danach griff, hat er gesehen, dass ihre Hand nur aus nackten Knochen besteht!«
    »Ach, du spinnst doch! Wo gibt’s denn so was?«
    »Die Leute erzählen alles Mögliche. Ich sag dir mal, was ich glaube: Noch bevor die Stadt dort oben zur Hölle fuhr, hat Mamotschka nicht weit von unserer Station gewohnt. Damals war sie eine ganz normale Frau mit Mann und Kind. In den letzten Jahren hatte es eine Wirtschaftskrise gegeben – das wirst du nicht mehr wissen. Jedenfalls hat ihr Mann seinen Job verloren. Sie haben sich so durchgeschlagen, von der Hand in den Mund gelebt. Dann hatte der Mann doch noch Glück und fand eine neue Stelle. Morgens fuhr er zur Arbeit und kam nicht mehr zurück. Mamotschka hat erst am Abend aus den Fernsehnachrichten erfahren, dass das Sammeltaxi, mit dem ihr Mann zur Arbeit aufgebrochen war, von einem Lastwagen zerquetscht worden war . A lle Passagiere hatten ins Gras gebissen. Mamotschka hat die ganze Nacht geweint . A m nächsten Morgen ist sie mit ihrem Sohn in die Metro gegangen, hat auf den nächsten Zug gewartet und ist mitsamt dem Jungen aufs Gleis gesprungen. Ein furchtbarer Tod. Wenn die Leute ohne Beichte sterben, findet ihre Seele keine Ruhe. Und damit ihnen nicht langweilig ist, suchen sie sich Gesellschaft – solche Trottel wie Petka zum Beispiel. Er hat übrigens nicht mehr lange gelebt nach der ersten Begegnung mit Mamotschka. Er ist immer wieder in diesen Tunnel gegangen. Weiß der Henker, warum es ihn dort hingezogen hat. Eines Tages ist er nicht mehr zurückgekommen. Wahrscheinlich spaziert er jetzt mit seiner neuen Freundin durch finstere Gänge und fletscht böse die Zähne. So ist das, Freundchen. Hör auf die Älteren . Vom Ochotny rjad zur Twerskaja suchen wir uns eine andere Route. Wenn wir nicht gerade dem Streckenwärter über den Weg laufen …«
    »Onkel Wanja …«, warf der junge Mann ein, doch der alte Händler war jetzt so richtig in Fahrt gekommen und ließ sich nicht unterbrechen.
    »Der wäre noch heftiger als Mamotschka . A uch ein Toter. Der Streckenwärter ist schon vor dem Krieg in der Metro aufgetaucht. Man hat sogar Bücher über ihn geschrieben und einen Film gedreht. Nur dass das alles nicht stimmt, was da über ihn verbreitet wird. Der Streckenwärter tötet seine Opfer nämlich nicht mit dem Hammer,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher