Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Antonow
Vom Netzwerk:
dass die Bibliothek ständig erweitert wurde. Diese befand sich am Wodny stadion , dem kulturellen Zentrum der Anarchistengemeinde. Dort residierte auch die Redaktion einer kleinen Zeitung, die es sich doch tatsächlich herausnahm, Nestor zu kritisieren – für Kommunisten ein völlig undenkbarer Vorgang. Doch auf die Freiheit der Rede ließ der Kommandant nichts kommen. Genosse Moskwin, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Metro, hätte da gewiss empfindlicher reagiert . A n der Roten Linie hätte man derart aufmüpfige Journalisten ohne viel Federlesens im nächstbesten Tunnel aufgehängt.
    Tolik, der den Idealisten Kropotkin vergötterte, behagte der Lebensstil an der Station. Er glaubte an den Kommandanten und war davon überzeugt, dass es Nestor früher oder später gelingen würde, seine Anhänger zu den ethischen Idealen des Fürsten Kropotkin zu bekehren.
    Die Woikowskaja war für Tolik wie eine zweite Heimat, für die er bereit war, sein Leben zu riskieren. Bis zum letzten Blutstropfen hätte er diese erstaunliche Demokratie verteidigt. Und dies war auch der Grund für sein e Vorahnung an diesem Morgen.
    Tolik setzte sich auf, rieb sich die Augen und schlug den alten Mantel zurück, den er als Decke benutzte. Jetzt hatte er keinen Zweifel mehr: Den Anarchisten – vielleicht sogar der ganzen Metro – drohte Gefahr. Nicht die übliche, sondern eine völlig neuartige Gefahr … Nicht jene geheimnisvollen Wesen, die in versteckten Winkeln und Gängen des Untergrunds hausten, wo niemals ein Lichtstrahl hinfiel. Und auch nicht die Bestien, die von der Oberfläche in die Metro eindrangen. Nicht von dort näherte sich das Unheil, sondern … An diesem Punkt fiel Toliks fliegender Gedanke wie ein Stein zu Boden.
    Die gefährlichste Bestie war immer noch der Mensch. Und machtgierige Menschen gab es in der Metro mehr als genug. Schließlich war es viel leichter geworden, die Welt zu erobern, nachdem kaum noch etwas von ihr übrig geblieben war. Und niemand schien sich mehr daran zu erinnern, dass es eben solche, ideologisch ambitionierte Menschen gewesen waren, die die große, frühere Welt zugrunde gerichtet hatten.
    Macht nichts, das wird sich schon aufklären, dachte Tolik, während er mit dem Reibrad des Feuerzeugs kämpfte. Seine Finger waren noch steif und gefühllos. Die unter dem Zeltdach hängende Petroleumlampe wollte auch nicht gleich brennen.
    Toliks Zuhause war perfekt aufgeräumt.
    Nichts gegen einen zwanglosen Lebensstil, aber im eigenen Heim ging es ohne Ordnung nicht. Schon Innokenti Weniaminowitsch hatte immer wieder betont, die Menschen in der Metro würden verrohen, wenn es ihnen an Ordnung und Geborgenheit fehlt. Deshalb ließ Tolik in seiner Bude keinen Schlendrian einreißen.
    Generell musste man unter den harten Lebensbedingungen der Metro stets gewisse Regeln einhalten . Verstöße dagegen konnten katastrophale Folgen haben und wurden nicht etwa als lässlich e Verfehlung abgetan, sondern als handfestes Verbrechen gebrandmarkt.
    Tolik betrachtete seine Habseligkeiten, die in einer Ecke des Einmannzelts aufgereiht lagen. Mit seinen siebenundzwanzig Jahren hatte er noch keine großen Besitztümer angehäuft. Diese beschränkten sich auf seinen alten, von Motten zerfressenen Mantel, Schuhe ohne Schnürsenkel, die ihm zu groß waren, einen Rasierer mit vergilbtem Griff, einen verrußten Wasserkessel, einen verbeulten Alubecher und ein glattgescheuertes Frotteehandtuch.
    Toliks ganzer Stolz war seine persönliche Bibliothek, die aus genau vier Büchern bestand. Er bewahrte sie in seinem alten Geigenkoffer auf. Die ersten beiden stammten aus der Feder von Fürst Pjotr Kropotkin: das zerfledderte Heftchen »Freiheit und Moral« und das Buch »Brot und Freiheit«, das auf seinen Irrwegen durch die Metro den Einband eingebüßt hatte. Das dritte Werk war »Der Meister und Margarita« von Michail Bulgakow mit ausführlichen Kommentaren, das vierte der Gedichtband »Weg der Konquistadoren« von Nikolai Gumiljow. Die Werke von Kropotkin hatte Tolik bereits als Erwachsener gegen seine Geige eingetauscht, die beiden anderen von Innokenti Weniaminowitsch geerbt.
    In Toliks Augen gehörten revolutionäre Ideen und wahre Poesie zusammen, als wären sie durch unsichtbare Fäden miteinander verknüpft. In der Revolution lag Poesie. Oder war der Comandante Che Guevara etwa kein Poet gewesen? Nur ein Poet brachte es fertig, einen prestigeträchtigen Posten in der Regierung des neuen Kuba gegen ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher