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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Antonow
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erschreckter, in die Metro flüchtender Menschen den Weg. Ein alter Mann, der ebenfalls seine Familie verloren hatte, bemerkte das allein über den Bahnsteig irrende Kind und nahm sich seiner an. Er hieß Innokenti Weniaminowitsch. Tolik hatte nichts außer seiner Geige dabei, der alte Mann nur einen Laib Weißbrot für zwanzig Rubel. Die Hälfte davon gab er dem Jungen ab.
    Zum zweiten Mal intervenierte Toliks Schutzengel an dem Tag, als sich Innokenti Weniaminowitsch nach langem Hin und Her von einem Bekannten überreden ließ, von der Timirjasewskaja zur Woikowskaja umzuziehen. Der alte Mann litt an chronischen Herzbeschwerden, und an der Woikowskaja hatte sich Gerüchten zufolge der Chefkardiologe des Zentralen Klinikums niedergelassen – eine echte Koryphäe, die wie durch ein Wunder am Leben geblieben war.
    Innokenti Weniaminowitsch packte also seine Sachen und verließ zusammen mit Tolik die Timirjasewskaja . Drei Tage später gab es die Station nicht mehr. Die Ratten hatten sie überfallen und alle Bewohner aufgefressen . A uch den Bekannten, der den alten Mann überredet hatte, zur Woikowskaja umzusiedeln.
    Zur Sprechstunde beim Kardiologen schaffte es Toliks Wohltäter trotzdem nicht mehr. Irgendwo unterwegs in einem finsteren Tunnel hörte Innokenti Weniaminowitsch plötzlich auf, über das Schicksal der Menschheit zu philosophieren, setzte sich auf den Boden, griff sich an die Brust und schnappte nach Luft wie ein ans Ufer geworfener Fisch. Sein Gesicht wurde aschfahl, seine Lippen blau, und er hauchte sein Leben aus.
    Der alte Mann fiel Tolik direkt vor die Füße. Seine Augen erloschen wie die Fenster in einem Haus, in dem das Licht ausgemacht wurde.
    Tolik war hilflos danebengestanden. Seit jener Zeit hatte er viele Leute sterben sehen. Man stumpft ab mit der Zeit, selbst gegenüber dem Tod. Doch jener erste, lange zurückliegende Tod hatte sich tief in sein Gedächtnis gegraben.
    Der Tag, an dem Innokenti starb, hielt noch weiteres Unheil für Tolik bereit. Der Junge schloss sich einer vorbeikommenden Karawane an, doch schon bald stellte sich heraus, dass er aufs falsche Pferd gesetzt hatte.
    Der Tross transportierte irgendwelche chemischen Kampfstoffe, stand unter strenger Bewachung und strikter Geheimhaltung. Doch offenbar gab es Interessenten, die von der brisanten Fracht wussten. Die Karawane wurde hinterrücks überfallen . Verirrte Kugeln schlugen in die Behälter ein. Einer platzte und entließ eine Giftwolke in den Tunnel.
    Tolik überlebte das Gemetzel wie durch ein Wunder, doch der unmittelbare Kontakt mit dem ätzenden Kampfstoff sollte lebenslange Folgen für ihn haben . A n seinen Beinen bildeten sich trophische Geschwüre, die einfach nicht mehr heilen wollten.
    Immerhin konnte die Erkrankung zum Stillstand gebracht werden. Durch Zufall. Oder besser gesagt: durch Intuition. Die gutherzige Tante seines gleichaltrigen Freundes Sergej, die Tolik an der Woikowskaja aufgenommen hatte, wusste nichts über die Behandlung chronischer Geschwüre . A ber sie sparte nicht an kostspieliger Seife für ihren neuen Zögling, wusch die Wunden zweimal am Tag aus und verband sie mit abgekochten und sorgfältig getrockneten Tüchern.
    Die Waschprozeduren bewirkten eine deutliche Linderung. Für den heranwachsenden Tolik wurde die Pflege seiner Beine zur alltäglichen Routine wie das morgendliche Zähneputzen.
    Die Woikowskaja wurde sein neues Zuhause. Erst viel später sollten die Anarchisten die Macht an der Station übernehmen.
    Am Ende des Kriegs zwischen der Roten Linie und der Hanse hatten sich die Anarchisten als eigenständige Kraft etabliert. Nestor, den Tolik noch aus Zeiten kannte, als man ihn Onkel Mischa nannte, hatte zunächst auf der Seite der Roten gekämpft, sich später aber mit ihnen zerstritten.
    Er setzte sich mit seinen Leuten zur Woikowskaja ab und ließ sich dort nieder . A ll jene, die den Genossen Moskwin und seine Kommunisten für Verräter an den revolutionären Idealen hielten, schlossen sich dem Partisanen Onkel Mischa an.
    Einige Zeit später schlugen sich Mischas Einheiten sogar auf die Seite der Hanse und halfen den Ringstationen, einige wichtige Siege gegen die Roten zu erringen. Doch wie er seinen Kämpfern erklärte, handelte es sich hierbei lediglich um eine vorübergehende, taktische Allianz.
    Die Hanse stand politisch rechts und trat für den Schutz des Privateigentums ein . A llein beim Gedanken an solche geistigen Verirrungen ging Onkel Mischa das Messer in der Hose
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