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Im Sommer der Sturme

Im Sommer der Sturme

Titel: Im Sommer der Sturme
Autoren: Gantt DeVa
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Lächeln glitt über ihr Ge sicht. Aufseufzend griff sie nach der Reling und blickte über die endlose Weite.
    »Dieser Anblick raubt einem den Atem, nicht wahr?« Er sah ebenfalls zum Horizont und freute sich über die unverhüllte Bewunderung der jungen Frau.
    »Angesichts der Weite wird mir klar, wie klein ich in Wirklichkeit bin.«
    »So wie die Wellen lange vor Ihrer Geburt auf den Strand rollten, so werden sie auch noch lange nach Ihrem Tod anbranden. Unser Leben ändert die Welt nicht.«
    Diese Worte missfielen Charmaine. »Denken Sie das wirklich?«
    »Viele Menschen sind anderer Meinung. Gehören Sie etwa auch zu ihnen?«
    »Mir gefällt der Gedanke, dass jeder Mensch durch sein Leben eine Änderung bewirkt, und sei sie auch noch so klein.«
    Kapitän Wilkinson dachte einen Moment lang über diese philosophische Äußerung nach. Das Mädchen war sicher nicht älter als achtzehn Jahre. »Wenn Sie erst so alt sind wie ich, werden Sie womöglich auch anders darüber denken. Aber heute ist das ohne Belang. Erlauben Sie, dass ich Ihnen meinen ganzen Stolz und meine Freude zeige.«
    Als sich der Kapitän dem Heck des Segelschiffs zu wandte, begriff Charmaine, dass er sein Schiff meinte. Sie ermutigte ihn mit einem Nicken, und dann spazierten sie eine gute Stunde lang über die Raven, und Charmaine lernte, vom Vorderdeck über das Mitteldeck bis zum Achterdeck alles beim richtigen Namen zu nennen. Sie erfuhr, dass der Segler mit einer Länge von einhundertfünfundzwanzig Fuß in Britannien gebaut worden war und seit seiner Jungfernfahrt vor über dreißig Jahren stets unter Kapitän Wilkinsons Kommando über die Meere gekreuzt war. Der Kapitän zeigte ihr alles, vom Ruder bis zum Ankerspill, und erläuterte, wie viele Männer nötig waren, um die mächtige Kette und den Anker der Raven einzuholen. Die Masten waren rahgetakelt und die Rahen in einem bestimmten Winkel gesetzt, um den Wind am besten nutzen zu können. Charmaine beschattete ihre Augen und sah zu den drei Mastspitzen empor, die am Himmel zu kratzen schienen, und anschließend bedachte sie den Kapitän mit höflichen Komplimenten, während er ihr die einzelnen Segel – vom Außenklüver am Bugspriet, der ihnen voranflatterte, bis zum Besansegel, das den Kurs hielt – erläuterte. Unglücklicherweise deutete der Kapitän Charmaines Lächeln als Interesse und konnte in seiner Begeisterung kein Ende finden.
    Charmaine seufzte erleichtert, als sich irgendwann Jo-shua Harrington zu ihnen gesellte, und wollte sich in ihre Kabine zurückziehen. Doch als sich die Unterhaltung unverhofft den Duvoisins zuwandte, war ihr Interesse geweckt, und sie lehnte sich gegen die Reling.
    »… sehr vermögend«, sagte der Kapitän soeben. »Zehn Schiffe, drei Inseln, einige tausend Morgen Land und dazu Gott weiß wie viele Unternehmungen. Aber solches Vermögen hat einen hohen Preis. Frederic und seinen Söhnen wurde ein gerüttelt Maß an Schwierigkeiten beschert – eine schwere Last, wie ich sie nicht gern tragen wollte …«
    Je größer das Vermögen, desto tiefer der Schmerz … dachte Charmaine.
    »… Es gibt viele, die den Duvoisins ihre Macht und ihr Geld neiden, aber genau diese Männer würden die Macht und den Reichtum missbrauchen. Die Duvoisins haben ihr Vermögen immerhin ehrlich verdient, und zwar mit harter Arbeit und großer Geschäftstüchtigkeit.«
    Joshua Harrington hielt sich zurück. Während der letzten beiden Tage hatte er den Kapitän als besonnenen Mann kennengelernt, sodass er geneigt war, seine Meinung zu respektieren. »Sie äußern sich sehr lobend über die Familie«, bemerkte er schließlich mit etwas zweifelndem Unterton.
    »Ich hebe Frederic Duvoisin keineswegs auf ein Podest, aber er ist ein gerechter Mann. Gerechter jedenfalls als jeder andere, den ich kenne. Diesen Wesenszug hat er seinen Söhnen vererbt.«
    »Auch John?« Joshua schien nicht überzeugt zu sein. »Als ich im letzten Jahr seine Bekanntschaft machte, kamen mir viele Bezeichnungen in den Sinn. ›Gerecht‹ war allerdings nicht darunter.«
    Jonah lachte leise. »Das überrascht mich nicht. John kann zuweilen äußerst zynisch sein, und seine Zunge ist so schnell wie seine Gedanken. Aber öfter, als man gemeinhin annimmt, ist er gerecht. Sein Sarkasmus ist nur ein Schutz.«
    »Ein Schutz wovor?«
    »Nun ja, vor der Wut und dem Schuldgefühl«, erklärte der Kapitän. »Angeblich war John der Grund für den schweren Anfall, der seinen Vater zum Krüppel gemacht hat. Der
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