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Im Sog der Sinnlichkeit

Im Sog der Sinnlichkeit

Titel: Im Sog der Sinnlichkeit
Autoren: Anne Stuart
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taugt einzig und allein für eine Sache. Damit könnte sie einen Mann sehr glücklich machen, vielleicht so glücklich, dass er über ihre Vergangenheit und ihre Beschränktheit hinwegsieht. Ihre Talente sind bemerkenswert.“
    „Talente?“, hatte Melisande verwirrt wiederholt. „Welche Talente könnten das wohl sein?“
    Emma hatte das Gesicht verzogen. „Sie macht es mit dem Mund, und darauf versteht sie sich besser als jede andere in ganz London.“
    „Meinst du, sie kann gut küssen? Oder etwas anderes … wie singen?“
    Emma hatte gelacht. „Mein armer Unschuldsengel! Nein, mit Singen hat es beileibe nichts zu tun. Sie verwöhnt einen Mann mit dem Mund.“
    „Wie denn?“, hatte Melisande verständnislos gefragt, und Emma hatte sie darüber aufgeklärt.
    Melisande begegnete Violet seit diesem Abend mit einer gewissen Beklommenheit. Anfangs hatte der Gedanke sie mit leichtem Ekel erfüllt, doch dieses Gefühl war gewichen; geblieben war allerdings eine befremdliche Neugier, für die sie sich zwar schämte, aber die sie nicht leugnen konnte. Nicht, dass sie je so etwas tun würde. Sie hatte nicht einmal die Absicht, einen Mann auf den Mund zu küssen, geschweige denn seinen …
    Wieder stieg ihr die Hitze ins Gesicht. Sie erhob sich von ihrem zierlichen Schreibtisch, da sie sich nicht konzentrieren konnte, trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Sie hatte Carstairs House von ihrem Gatten geerbt, der sich vermutlich im Grabe umdrehen würde, wenn er wüsste, was sie daraus gemacht hatte. Nach seinem Tod stand ihr ein unerwartet hohes Vermögen zur Verfügung, und da draußen gab es so viel Elend und Leid, und sie hätte am liebsten noch mehr gestrandete Frauen aufgenommen, wenn der Platz gereicht hätte. Nicht, dass ihre Nachbarschaft besonders erfreut gewesen wäre über ihr Wohltätigkeitsprojekt. Aber die Kritik ihrer vornehmen Nachbarschaft war ihr ebenso gleichgültig wie die ihres verstorbenen Gemahls.
    Im Moment galt ihr einziges Interesse der Person, die sich heimlich die Treppe hinuntergeschlichen hatte zu einer Zeit, da die Frauen entweder beim Abendessen saßen oder sich in Lesen und Schreiben übten.
    Die Tür zu ihrem Arbeitszimmer wurde aufgerissen, und Betsey stand auf der Schwelle, sichtlich platzend vor Aufregung. Die jüngste Bewohnerin des Taubenschlags war zwölf Jahre alt und hatte ihr Leben in dem Bordell zugebracht, in dem ihre Mutter arbeitete. Bis sie vor zwei Jahren nach dem Tod der Mutter ausgebüxt war und das Leben auf der Straße nur mit ihrer Schläue einigermaßen gemeistert hatte. Kein Mann hatte sie angefasst, aber über kurz oder lang hätte sie sich verkauft. Zum Glück hatte Melisande sie rechtzeitig aufgegriffen und zu sich genommen. Mit ihrem feuerroten Haar und ihrem schelmischen Kinderlachen war sie der Sonnenschein in Carstairs House und wurde von allen verhätschelt.
    „Denk daran anzuklopfen, Betsey“, mahnte Melisande die Kleine mit ruhiger Stimme und versuchte, ihre Besorgnis zu verdrängen. Wenigstens war es nicht die Jüngste, die sich heimlich aus dem Haus geschlichen hatte. Die übermütige Betsey war stets zu Streichen aufgelegt, allerdings auch gewitzt und schlau, sonst hätte das streunende obdachlose Kind keine zwei Jahre auf der Straße überlebt.
    „’tschuldigung, Miss … äh … Mylady“, erklärte Betsey vergnügt. „Aber da ist ein Brief.“ Sie hielt ein Blatt Papier hoch. Auch aus der Entfernung konnte Melisande kühne Schriftzüge erkennen. Die Handschrift eines Mannes, was sonst?
    „Für mich?“
    „Nein, Miss. Für Violet. Ich kann nicht richtig lesen, was darin steht. Aber Violet warf nur einen Blick darauf, und weg war sie.
    Violet. Natürlich war die Botschaft an sie gerichtet. Melisande durchquerte das Zimmer und nahm dem Kind das Blatt aus der Hand. Sie hätte Betsey anweisen sollen, ihr den Brief zu bringen, aber ihre Besorgnis ließ keine Zeit für Anstandsregeln. „Normalerweise lesen wir die Briefe anderer Leute nicht“, erklärte sie zerstreut, während sie die Zeilen überflog. „Aber hier handelt es sich um einen Notfall.“
    „Oh ja!“ Betsey war begeistert.
    Und es handelte sich in der Tat um einen Notfall. Violet wurde darin aufgefordert, Viscount Rohan umgehend in seinem Haus in der Bury Street aufzusuchen. Das war keine Einladung; es war ein Befehl. Melisande fluchte leise, womit sie Betsey noch mehr beeindruckte. „Bring mir Hut und Umhang, Betsey“, sagte sie und zerknüllte den Brief in ihrer
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