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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
Autoren: Byung-Chul Han
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Darin gleicht es dem Handeln oder auch dem Denken im emphatischen Sinne. Denkend begibt sich auch Heidegger ins Unbegangene. Der Flügelschlag des Eros berühre ihn jedes Mal, wenn er im Denken einen wesentlichen Schritt tue und sich ins Unbegangene wage. 14 Die Forderung, das Schreiben selbst transparent zu machen, kommt eigentlich dessen Abschaffung gleich. Schreiben ist ein exklusives Tun, während das kollektive, transparente Schreiben bloß additiv ist. Es ist nicht fähig zur Erzeugung des ganz Anderen, des Singulären. Das transparente Schreiben führt nur additiv Informationen zusammen. Die Gangart des Digitalen ist eben die Addition. Eine solche Transparenz-Forderung geht weit über die Partizipation und Informationsfreiheit hinaus. Sie kündigt einen Paradigmenwechsel an. Er ist normativ insofern, als er gebietet, was ist und zu sein hat. Er definiert ein neues Sein.
     
    In einem Interview stellt Michel Butor eine Krise des Geistes fest. Sie äußere sich auch als Krise der Literatur: »Wir leben nicht nur in einer Wirtschaftskrise, wir leben auch in einer literarischen Krise. Die europäische Literatur ist bedroht. Was wir in Europa gerade erleben, ist eine Krise des Geistes.« 15 Auf die Frage, woran er diese Krise des Geistes erkenne, antwortet Butor: »Seit zehn oder zwanzig Jahren passiert beinahe nichts mehr in der Literatur. Es gibt eine Flut von Veröffentlichungen, aber einen geistigen Stillstand. Die Ursache ist eine Krise der Kommunikation. Die neuen Kommunikationsmittel sind bewundernswert, aber sie verursachen einen ungeheuren Lärm.« Das Medium des Geistes ist die Stille. Offenbar zerstört die digitale Kommunikation die Stille. Das Additive, das den kommunikativen Lärm erzeugt, ist nicht die Gangart des Geistes.

KLUGER HANS
    Anfang des 20. Jahrhunderts erlangte ein deutsches Pferd Weltruhm. Angeblich konnte es rechnen. Es wurde bekannt als »kluger Hans«. Auf einfache Rechenaufgaben antwortete es korrekt mit dem Huf oder mit dem Kopf. So klopfte es acht Mal mit dem Huf, wenn ihm die Frage gestellt wurde: »Was macht 3 plus 5?«. Um dieses wundersame Ereignis aufzuklären, wurde sogar eine Kommission aus Wissenschaftlern eingesetzt, in der auch ein Philosoph gewesen sein soll. Sie fand heraus, dass das Pferd nicht rechnen konnte. Es war jedoch in der Lage, feinste Nuancen im Gesichtsausdruck und in der Körpersprache seines menschlichen Gegenübers zu deuten. Offenbar registrierte es feinfühlig, dass das anwesende Publikum vor dem entscheidenden Hufklopfen unwillkürlich eine gespannte Haltung einnahm. Auf diese spürbare Anspannung hin hörte das Pferd auf, zu klopfen. So gab es immer die richtige Antwort.
     
    Der verbale Anteil an der Kommunikation ist sehr gering. Die nonverbalen Ausdrucksformen wie Gestik, Gesichtsausdruck oder Körpersprache machen die menschliche Kommunikation aus. Sie verleihen ihr Taktilität. Mit dem Taktilen ist nicht die körperliche Berührung, sondern die Mehrdimensionalität und Mehrschichtigkeit der menschlichen Wahrnehmung gemeint, an der nicht nur das Visuelle, sondern auch andere Sinne beteiligt sind. Das digitale Medium beraubt die Kommunikation der Taktilität und Körperlichkeit.
     
    Wegen der Effizienz und Bequemlichkeit der digitalen Kommunikation meiden wir zunehmend den direkten Kontakt mit realen Personen, ja den Kontakt mit dem Realen überhaupt. Das digitale Medium bringt das reale Gegenüber immer mehr zum Verschwinden. Es registriert es als Widerstand. Dadurch wird die digitale Kommunikation immer körper- und antlitzloser. Das Digitale unterwirft die Lacansche Triade des Realen, des Imaginären und des Symbolischen einem radikalen Umbau. Es baut das Reale ab und totalisiert das Imaginäre. Das Smartphone fungiert als ein digitaler Spiegel zur postinfantilen Neuauflage des Spiegelstadiums. Es eröffnet einen narzisstischen Raum, eine Sphäre des Imaginären, in der ich mich einschließe. Durch das Smartphone spricht nicht der Andere.
    Das Smartphone ist ein digitaler Apparat, der mit einem komplexitätsarmen Input-Output-Modus arbeitet. Es tilgt jede Form der Negativität. Dadurch verlernt man, auf eine komplexe Art zu denken. Es lässt auch Verhaltensformen verkümmern, die eine temporale Weite oder Weitsichtigkeit erfordern. Es fördert die Kurzfristigkeit und Kurzsichtigkeit und blendet das Lange und das Langsame aus. Das lückenlose Gefällt-mir erzeugt einen Raum der Positivität. Aufgrund ihrer Negativität unterbricht die Erfahrung
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