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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
Autoren: Byung-Chul Han
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unten. Der kommunikative Reflux zerstört die Ordnung der Macht. Der Shitstorm ist eine Art Reflux mit all seinen destruktiven Wirkungen.
    Der Shitstorm verweist auf machtökonomische Verschiebungen in der politischen Kommunikation. Er schwillt in dem Raum an, der schwach mit Macht und Autorität besetzt ist. Gerade in flachen Hierarchien bewirft man sich mit Shitstorm. Die Macht als Kommunikationsmedium sorgt dafür, dass die Kommunikation in einer Richtung zügig fließt. Die Handlungsselektion des Machthabenden wird von dem Machtunterworfenen gleichsam geräuschlos befolgt. Das Geräusch oder der Lärm ist ein akustischer Hinweis auf beginnenden Zerfall der Macht. Auch der Shitstorm ist ein kommunikativer Lärm. Das Charisma als auratischer Ausdruck der Macht wäre das beste Schutzschild gegen Shitstorms. Es lässt sie gar nicht erst anschwellen.
     
    Die Gegenwart der Macht reduziert die Unwahrscheinlichkeit der Annahme meiner Handlungsselektion, meiner Willensentscheidung durch andere. Die Macht als Kommunikationsmedium besteht darin, angesichts der Möglichkeit des Nein die Wahrscheinlichkeit des Ja zu erhöhen. Das Ja ist wesentlich geräuschloser als das Nein. Das Nein ist immer laut. Die Machtkommunikation reduziert Geräusch und Lärm, das heißt, die kommunikative Entropie erheblich. So beseitigt das Machtwort schlagartig den anschwellenden Lärm. Es erzeugt eine Stille, nämlich den Spielraum für Handlungen.
     
    Der Respekt als Kommunikationsmedium übt eine ähnliche Wirkung aus wie die Macht. Die Ansicht oder die Handlungsselektion der Respektsperson wird oft ohne Widerspruch und Widerrede angenommen und übernommen. Die Respektsperson wird sogar als Vorbild nachgeahmt. Die Nachahmung entspricht dem vorauseilenden Gehorsam im Falle der Macht. Gerade da, wo der Respekt schwindet, entsteht der lärmende Shitstorm. Eine Respektsperson überzieht man nicht mit einem Shitstorm. Der Respekt bildet sich durch Zuschreibung personaler und moralischer Werte. Der allgemeine Wertezerfall lässt die Kultur des Respektes erodieren. Die heutigen Vorbilder sind frei von inneren Werten. Vor allem äußere Qualitäten zeichnen sie aus.
     
    Die Macht ist ein asymmetrisches Verhältnis. Sie begründet eine hierarchische Beziehung. Die Machtkommunikation ist nicht dialogisch. Im Gegensatz zur Macht ist der Respekt nicht notwendig ein asymmetrisches Verhältnis. Respekt empfindet man zwar oft für Vorbilder oder Vorgesetzte, aber grundsätzlich ist ein gegenseitiger Respekt möglich, der auf einem symmetrischen Anerkennungsverhältnis basiert. So kann sogar ein M achthabender Respekt haben vor dem Machtunterworfenen. Der heute überall anschwellende Shitstorm weist darauf hin, dass wir in einer Gesellschaft ohne gegenseitigen Respekt leben. Der Respekt gebietet Distanz. Sowohl die Macht als auch der Repekt sind distanzschaffende, distanzierende Kommunikationsmedien.
     
    Angesichts der Shitstorms wird man auch die Souveränität neu definieren müssen. Souverän ist, Carl Schmitt zufolge, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Man kann diesen Satz der Souveränität ins Akustische übersetzen. Souverän ist, wer eine absolute Stille zu erzeugen, jeden Lärm zu beseitigen, mit einem Schlag alle zum Schweigen zu bringen vermag. Schmitt konnte keine Erfahrung mit der digitalen Vernetzung machen. Sie hätte ihn bestimmt in eine totale Krise gestürzt. Es ist bekannt, dass Schmitt zeitlebens Angst vor Wellen hatte. Shitstorms sind auch eine Art Wellen, die jeder Kontrolle entgleiten. Aus Angst vor Wellen soll der alte Schmitt auch Radio und Fernseher aus seinem Haus entfernt haben. Er sah sich sogar dazu veranlasst, angesichts der elektromagnetischen Wellen seinen berühmten Satz der Souveränität umzuschreiben: »Nach dem Ersten Weltkrieg habe ich gesagt: >Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.< Nach dem Zweiten Weltkrieg, angesichts meines Todes, sage ich jetzt: >Souverän ist, wer über die Wellen des Raumes verfügt.<« 4 Nach der digitalen Revolution werden wir Schmitts Satz der Souveränität nochmals umschreiben müssen: Souverän ist, wer über die Shitstorms des Netzes verfügt.
     

EMPÖRUNGSGESELLSCHAFT
    Die Empörungswellen sind darin sehr effizient, Aufmerksamkeit zu mobilisieren und zu bündeln. Aufgrund ihrer Fluidität und Volatilität sind sie aber nicht dazu geeignet, den öffentlichen Diskurs, den öffentlichen Raum zu gestalten. Dazu sind sie zu unkontrollierbar, unberechenbar,
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