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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
Autoren: Byung-Chul Han
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Kategorien wie Klasse oder Klassenkampf. So definieren sie die »Multitude« als eine Klasse, die zu gemeinsamem Handeln fähig ist: »In einer ersten Annäherung ist die Multitude als Zusammensetzung aus all jenen zu begreifen, die unter der Herrschaft des Kapitals arbeiten, und daher potenziell als die Klasse, die der Herrschaft des Kapitals widersteht.« 9 Die Gewalt, die vom Empire ausgeht, wird als Gewalt der Fremdausbeutung gedeutet: »Die Menge (Multitude) ist die wahre Produktivkraft der sozialen Welt, während das Empire ein Beuteapparat ist, der von der Lebenskraft der Menge lebt — oder, um es in Anlehnung an Marx zu sagen, ein Regime der akkumulierten toten Arbeit, das nur dadurch überlebt, dass es vampirmäßig das Blut der Lebenden saugt.« 10 Die Rede von der Klasse ist nur innerhalb einer Pluralität von Klassen sinnvoll. Die Multitude ist aber die einzige Klasse. Zu ihr gehören alle, die an dem kapitalistischen System beteiligt sind. Das Empire ist keine herrschende Klasse, die die Multitude ausbeutet, denn heute beutet man sich selbst aus, wobei man sich in Freiheit wähnt. Das heutige Leistungssubjekt ist Täter und Opfer zugleich. Negri und Hardt kennen diese Logik der Selbstausbeutung offenbar nicht, die viel effizienter ist als die Fremdausbeutung. Im Empire herrscht eigentlich niemand. Es stellt das kapitalistische System selbst dar, das alle überspannt. So ist heute eine Ausbeutung ohne Herrschaft möglich.
     
    Die neoliberalen Wirtschaftssubjekte bilden kein zum gemeinsamen Handeln fähiges Wir. Die zunehmende Egoisierung und Atomisierung der Gesellschaft lässt die Räume für das gemeinsame Handeln radikal schrumpfen und verhindert dadurch die Bildung einer Gegenmacht, die die kapitalistische Ordnung wirklich infrage zu stellen vermöchte. Socius weicht solus. Nicht Multitude, sondern eher Solitude kennzeichnet die heutige gesellschaftliche Verfassung. Sie ist von einem allgemeinen Zerfall des Gemeinsamen und des Gemeinschaftlichen erfasst. Die Solidarität schwindet. Die Privatisierung setzt sich bis in die Seele fort. Die Erosion des Gemeinschaftlichen macht ein gemeinsames Handeln immer unwahrscheinlicher. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung nehmen Hardt und Negri nicht Kenntnis und beschwören eine kommunistische Revolution der Multitude. Ihr Buch schließt mit einer romantischen Verklärung des Kommunismus: »In der Postmoderne befinden wir uns wieder in der gleichen Situation wie Franz von Assisi, und wir setzen dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen. Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein« 11
     

ENTMEDIATISIERUNG
    Das digitale Medium ist ein Präsenz-Medium. Seine Zeitlichkeit ist die unmittelbare Gegenwart. Die digitale Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass Informationen ohne Vermittlung durch Intermediatoren produziert, gesendet und empfangen werden. Sie werden nicht durch Vermittler gesteuert und gefiltert. Die intervenierende Zwischeninstanz wird immer mehr abgeschafft. Vermittlung und Repräsentation werden als Intransparenz und Ineffizienz, als Zeit- und Informationsstau interpretiert.
     
    Ein klassisches elektronisches Massenmedium wie das Radio lässt nur eine unilaterale Kommunikation zu. Aufgrund seiner amphitheatralen Struktur ist keine Interaktion möglich. Seine gleichsam radioaktive Ausstrahlung bleibt ohne Rückstrahlung. Sie strahlt in einer Richtung aus. Die Empfänger der Botschaft sind zu Passivität verurteilt. Das Netz weist eine ganz andere Topologie auf als das Amphitheater, das eine ausstrabende Mitte besitzt. Diese Mitte äußert sich auch als Instanz der Macht.
     
    Heute sind wir nicht mehr nur passive Empfänger und Konsumenten von Information, sondern aktive Sender und Produzenten. Wir begnügen uns nicht mehr damit, Informationen passiv zu konsumieren, sondern wollen sie selbst aktiv produzieren und kommunizieren. Wir sind Konsument und Produzent zugleich. Diese Doppelrolle steigert die Informationsmenge enorm. Das digitale Medium bietet nicht nur Fenster zum passiven Schauen, sondern auch Türen, durch die wir die selbst hergestellten Informationen hinaustragen. Windows sind Fenster mit Türen, die ohne Zwischenräume und -instanzen mit anderen Windows kommunizieren. Durch Windows blicken wir
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