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Im Schatten des Galgens Kommiss

Im Schatten des Galgens Kommiss

Titel: Im Schatten des Galgens Kommiss
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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hin. Doch wo immer er auch hinschaute, keiner seiner Spießgesellen war in diesem Augenblick zu sehen. Keiner war hier in der „Merry Grotto" — „Fröhliche Grotte", wie sich das drittklassige Lokal in Wapping nannte, den er, Sten Settloom, nun um Rat fragen konnte.
    Sten Settloom war alles andere, nur nicht allzusehr von seinem Schöpfer mit geistigen Qualitäten ausgestattet worden. Er gehörte zwar einer stark anrüchigen Gang an. Doch war seine starke Seite keineswegs das Denken. Was immer er auch ausführte, jede seiner Handlungen mußte ihm zuvor haargenau aufgezeigt werden. Stumpfsinnig, wie ein seelenloser Roboter, führte er dann alle Arbeiten aus; selbst diejenigen, die den anderen Mitgliedern dieser lichtscheuen Gilde in der Tench-Street zu schmutzig waren.
    So paradox es auch klingen mag; auch die Männer um Mike Callinger, der derzeitige Boß dieser Clique, hatten so etwas wie eine Berufsehre. Sie taten alles, was ihnen nur irgendwie Geld einbrachte. Dabei achteten sie aber stets darauf, daß ihre Leistungen, die sie dafür zu verrichten hatten, nicht aus ihrer Wesensart herausschlugen. Wenn es für Mike Callinger schon einmal unumgänglich schien, einen heimtückischen, niederträchtigen Mord durchzuführen, dann war es immer Sten Settloom, der seine Hand dafür hergeben mußte. So war Sten Settloom der Mörder von Wapping geworden...  
    Doch wie gesagt: Settloom konnte nur Taten durchführen, die man ihm zuvor in allen Einzelheiten eingetrichtert hatte. War das nicht der Fall, so stand er wie in diesem Augenblick, als er den Anruf des Verbindungsmannes vom Hafen entgegennahm, wie ein ABC-Schütze vor einer Doktorarbeit.
    Nicht die geringste Spur von Ahnung kam ihm, wie er sich nun verhalten sollte.
    Aergerlich über seine Hilflosigkeit knirschte er in den Apparat hinein: „Goddam, — gerade heute muß dieser Knilch hier eintreffen! Bless my soul, ich bin allein, was soll ich denn machen?"
    „Was heißt hier allein", ließ sich die aufgebrachte Stimme am anderen Ende der Strippe erneut vernehmen.
    „Well, old friend, du hast richtig gehört! In dieser Bruchbude befindet sich im Augenblick kein weiteres Mitglied unseres Vereins. Die versoffene Gesellschaft hat es vorgezogen, sich irgendwo, was weiß ich wo, den Kanal vollaufen zu lassen. Ich wollte jetzt auch verschwinden. Bei dem Nebel, der dort draußen auf See liegen muß, konnten wir doch nicht damit rechnen, daß dieser portugiesische Pott noch den Fluß hinaufkommen wird."
    Einen Augenblick blieb es nach diesen Worten Sten Settlooms still in der Leitung. Dann rasselte ein wenig salonfähiger Fluch durch den Draht. Nachdem sich so der Gesprächspartner Sten Settlooms ein wenig von seinem Groll abreagiert hatte, überschlug sich seine Stimme bei den folgenden Sätzen beinahe: „Es ist eine verfluchte Sauerei mit euch. Anstatt, wie es euch der Boß befohlen hat, stets zur Stelle zu sein, wenn dieser Sonny auftaucht, macht jeder von euch, was er will. Zounds, mir soll es jetzt egal sein. Macht, was ihr wollt! Ich habe meinen Auftrag ausgeführt, alles andere ist eure Sache. Und wenn du es allein nicht schaffst, den durch eure Schuld verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen, dann laß es. Mir ist es egal."
    Noch bevor Sten Settloom etwas erwidern konnte, knackte es hörbar in der Leitung. Sein Kumpan vom Hafen hatte ihn mit seinen Sorgen allein gelassen. Ratlos blickte Sten Settloom einige Herzschläge lang auf das an der Wand hängende Sprachrohr. Seine verkalkten Gehirnwindungen begannen eine für sie ungewohnte Betätigung durchzuführen.
    Sten Settloom dachte nach . . .
    Viel kam jedoch dabei nicht heraus. Nur soviel leuchtete ihm ein, daß jetzt und augenblicklich etwas geschehen mußte. Etwas, wodurch er das an dem Schmelzpunkt angelangte Eisen noch aus dem Feuer reißen konnte. Die monatelange Vorarbeit seines Chefs würde mit einem Schlage vernichtet sein, wenn es diesem Burschen, diesem Jean Embroke gelingen würde, hier in der Stadt mit einigen Leuten Verbindung aufzunehmen . . . Denn, soweit Sten Settlooms Erinnerungsvermögen noch reichte, hatte der Boß immer und immer wieder betont, daß dieses Vorhaben Jean Embrokes unter allen Umständen verhindert werden mußte.
    Nur wenn dieser Mann frühzeitig genug ausgeschaltet wurde, war ihr Auftrag, den sie schon seit Jahren im Auge hatten — und der ihnen Monat für Monat von einem unbekannten, jedenfalls für die meisten Mitglieder ihrer Gang unbekannten Auftraggeber eine Art Rente
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