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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen
Autoren: A. Leuning
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meine Kissen aufschüttelte. Eine Frau vermutlich, wie der schwache Parfümgeruch verriet, der noch immer in der Luft hing. Insbesondere die Tatsache, dass fremde Frauenhände mein Bett berührt hatten, machte mich nicht besonders an. Aber ich hatte keine Wahl. Seufzend zog ich erst mal auf allen Seiten die Decken und Bettlaken unter der Matratze hervor. Diese britische Unsitte, sich im Bett selbst einzusperren, hatten wir beide nie verstehen können ... -
    Da war es, dieses WIR. Das zweite Wort, das ich so selten wie möglich gebrauchen wollte. Ich ließ von den halb herausgezogenen Laken ab und ging ins Bad, um mir den Straßenstaub und eben jenes WIR vom Gesicht zu waschen. Dann setzte ich mich auf mein zerzaustes Bett, öffnete meine Hose und streifte die Schuhe von den Füßen. Das war umständlich, und ich wartete damit immer bis zum Schluss, bis ich sicher war, die Schuhe nicht noch einmal anziehen zu müssen. Hier im Zimmer konnte ich auch barfuss gehen, die Auslegware war rutschfest und nicht zu weich. Den dicken Teppich, für mich eine gefährliche Stolperfalle, hatte ich eingerollt und unter das Bett geschoben. Dem Zimmermädchen war es offenbar zu mühsam gewesen, ihn von dort wieder hervorzuholen, wofür ich ihr ausnahmsweise einmal dankbar war. Ich ließ mich rückwärts aufs Bett fallen und starrte zur unpersönlich weißen Decke hinauf. Was für ein Tag!
    Eigentlich hatte ich an meinem ersten Tag in Dublin nicht viel unternommen. Morgens war ich mit einem der gelb-blauen Doppelstockbusse zum Strand von Portmarnock gefahren und in der verträumten Einsamkeit der Dämmerung an der Küste entlangspaziert, um mir in der leichten Brise den Kopf freiblasen zu lassen. Das Rauschen des Meeres beruhigte meine Sinne, und die Wellen schwemmten mit ihrem stetigen Hin und Her meine Gedanken weg. Ich hatte mich in die Dünen gesetzt und sie dabei beobachtet, wie sie sich ständig selbst überholten und doch nicht vorankamen. Es war wie ein Kampf gegen unsichtbare Kräfte, die das Wasser wieder und wieder in sich selbst zurückzogen. Der Himmel war bedeckt, und nur an einzelnen Stellen durchbrach ein türkisblauer Schimmer die bleierne Schwere, spiegelte sich in dem wogenden Silber darunter.
    Als sich der Strand irgendwann mit Touristen, Joggern und Spaziergängern mit Hunden füllte, nahm ich den nächsten Bus zurück in die City und ließ mich dort von dem bereits erwachten, pulsierenden Leben durch die Straßen treiben, ziellos, orientierungslos. Nur den Körper; der Geist war ganz woanders. Irgendwann war ich dann in jenem Park gelandet, um mich auszuruhen. Und dann waren diese drei Typen aufgetaucht, von denen ich eigentlich nur den einen richtig wahrgenommen hatte - wahrnehmen musste.
    Noch einmal witterte ich diesem unheimlich vertrauten Gefühl nach, das mich wie aus dem Nichts überkommen hatte. So etwas hatte ich bisher nur einmal gespürt: an dem Tag, an dem WIR uns begegnet waren. Marc und ich.
       
     
       
     
    Dublin, Campus der DCU, Anfang November 2001
       
     
    „Hey, are you okay? Come on, get up!“ Alles war so schnell gegangen, dass Johannes noch immer nicht genau wusste, was eigentlich passiert war. Da waren diese verrückten Gören gewesen, die auf ihn zugerast kamen und offenbar nicht bremsen konnten, und dann - rums. Er musste wohl mit dem Kopf auf das Eis geschlagen sein, denn sein Schädel dröhnte, als wäre er mit einem Presslufthammer bearbeitet worden. Nur undeutlich nahm er die Gestalt war, die sich zu ihm niederbeugte und ihm die Hand entgegenstreckte. Es war eindeutig keines der Mädchen. Die waren einfach schreiend weitergeschlittert.
    Schnaufend ließ er sich hochziehen, suchte das Gleichgewicht auf seinen zwei Kufen, und lachte verlegen, um seine Unsicherheit in etwas anderes als betretenes Schweigen zu kleiden: „Danke, danke, es geht schon. Ich stehe ja wieder.“ Johannes hob den Blick und tauchte ihn umgehend ein in zwei tiefblaue Augen, die ihn freundlich anzwinkerten. Mit einem Mal schien alles um ihn herum so groß, so weit und so sanft, dass er meinte, die Realität würde ihm entgleiten wie eben seine Füße auf der spiegelglatten Eisbahn, auf der sie beide standen.
    „Ist alles noch dran? Tut dir was weh?“
    „Nein, ich glaube ... naja, der Hintern und die Schulter, autsch! Aber es geht schon, ist nichts schlimmes, glaube ich.“ Sie sprachen Englisch miteinander, doch hinter dem Akzent des anderen schien sich noch etwas  zu verbergen, eine
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