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Im Schatten der Schlange

Im Schatten der Schlange

Titel: Im Schatten der Schlange
Autoren: Hugh Walker
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Thonensen blieb wie angewurzelt stehen. Sie sahen atemlos, wie er sich bückte und die Schwärze mit seinen bleichen, schlanken Händen berührte.
    Die metallische Kreatur wurde ruhig. Ein Fühler streckte sich aus seinem Schädel und berührte den Magier an der Stirn. Thonensen erstarrte mit einem merklichen Ruck, der Baragg zur Axt greifen ließ. Aber Nottr hielt ihn zurück. Er spürte, daß dem Magier keine Gefahr drohte, daß er vielmehr dabei war, ein Geheimnis zu ergründen.
    Keiner der anderen fliegenden Späher kam zum Turm. Eine lange Zeit regte Thonensen sich nicht, und keiner der Lorvaner wagte es, den Bann zu brechen. Es war still, daß man den Wind an den Mauern hören konnte, und von weit unten kamen verwehte Rufe der Barbaren.
    Dann löste die Kreatur ihren Fühler von Thonensens Kopf und fiel mit dumpfem Poltern auf den Holzboden. Sie war schwer – schwerer als alles, was mit natürlichen Mitteln flog.
    Der Magier erwachte aus seiner Starre. Er blickte auf den toten Späher, den schwarzen Rauch zwischen seinen Fingern und nickte seinen Gefährten beruhigend zu. Als er sich erhob, blieb der Rauch an seinen Händen. Thonensen beobachtete es erst stirnrunzelnd, schließlich triumphierend. Er schob die Hände in die weiten Taschen seines Umhangs. Als er sie wieder hervorzog, waren sie weiß.
    »Ich kann die Tür nun öffnen, wenn ihr es wollt«, sagte er.
    Nottr zögerte. Dann schüttelte er den Kopf. »Wir könnten die Stadt jetzt doch nicht verlassen, solange sich die Horde an den Außenmauern sammelt.«
    »Aber wir könnten etwas zu essen suchen«, wandte Baragg ein. »Das ist besser, als hier zu sitzen und zu hungern.«
    »Er hat recht«, stimmte Lella zu.
    Auch Thonensen war dafür. »Ich verstehe zwar, meinen Hunger zu bezähmen, aber etwas mehr Bewegungsfreiheit sollten wir uns verschaffen.«
    »Ich weiß, was du meinst. Ich komme mir hier auch wie in einer Falle vor, auch wenn wir wohl nirgends so sicher sind wie hier. Ich bin wirklich kein rechter Lorvaner mehr. Ich schätze eine gute Möglichkeit zum Rückzug. Das würde keinem vom Schlage Ottans in den Sinn kommen.«
    Der Schamane beugte sich über den toten Späher und berührte ihn vorsichtig. »Es ist kein Leben mehr in ihm…« .
    »Es war nie Leben in ihm«, berichtigte Thonensen.
    Calutt nickte nach einem Augenblick zustimmend. »Er ist aus Eisen«, sagte er verwundert und fuhr staunend fort: »Wer immer es aus dem Eisen geformt hat, war ein großer Schmied und ein großer Kenner der Geheimnisse der Natur. Solch eine feine und vollkommene Arbeit habe ich noch nie zuvor gesehen.«
    Wo die Axt getroffen hatte und der Leib ein wenig aufklaffte, waren golden schimmernde Räder mit winzigen Zähnen zu erkennen.
    Nottr beugte sich über Calutt und betrachtete das metallene Geschöpf. Erinnerungen wurden in ihm wach – an die unmenschliche eiserne Armee, die er in den Bergen-am-Rand-der-Welt gesehen hatte; die Maschinenarmee der Chimerer als Tribut für die Mächte der Finsternis dieser anderen Welt – Qu’Irins Welt!
    Konnte es sein, daß auch diese fliegenden Späher ihr Werk waren; daß sie auch in dieser Welt der Finsternis einen schrecklichen Tribut entrichteten?
    Er versuchte, den reglosen Körper aufzuheben, und es kostete ihn große Anstrengung. Er setzte ihn wieder ab und keuchte: »Es ist ein Wunder, daß es fliegt…«
    »Es ist wider die Natur«, sagte Caluttt. »Dunkle Magie…«
    »Aber Nottr hat recht«, unterbrach ihn der Magier. »Es ist dennoch ein Wunder. Und daß es fliegt, ist nicht seine einzige Magie. Es sieht und besitzt Erinnerungen wie ein lebendes Geschöpf. Wenn es von seinem Flug zurückkehrt zu seinem Herrn, vermag es ihm den ganzen Flug zu berichten… in so klaren Bildern, als hätte er selbst diesen Flug gemacht.«
    »Hat es dir von seinem Flug berichtet?« fragte Calutt.
    Thonensen nickte zustimmend. »Er muß wohl erkannt haben, daß ich der Finsternis schon gedient habe. Und da er spürte, daß sein Ende nahe war, berichtete er mir, was er gesehen hatte…«
    »Was weißt du nun alles?« unterbrach ihn Nottr. »Etwas, das uns weiterhilft? Etwas über Elvinon?«
    Erneut nickte der Magier und schauderte.
    »Was?« drängte Nottr.
    »Glühende Augen unter einer gläsernen Maske…«
    »Ein Dämonenpriester! Ondhinn…?«
    »Ja, Ondhin. Und er ist noch besessener, als es Amorat war. Elvinon… ist nicht mehr Elvinon…« Er stockte. »Die Stadt besteht nur noch aus Stein… selbst die Herzen und Seelen der
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