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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman
Autoren: Tanja Kinkel
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keine Krankheiten, während man bei einer Hure nie sicher sein kann.«
    Es wäre anständiger gewesen zu sagen, dass sie gefälligst ihren Hosenlatz geschlossen halten sollten, bis ihr Vater sie verheiratet hätte, aber dergleichen wäre ihnen zum einen Ohr hinein- und zum anderen wieder herausgegangen. So zumindest hatte ich es empfunden, als mein Vater mir diese Predigt hielt.
    Damals schien der erboste Vater einer unverheirateten Tochter die größte Gefahr zu sein, die einem von Janes Söhnen drohen konnte. Nun hatte Guildford der Henker geholt, Henry war tot, Ambrose zusammengebrochen, und Robin und ich konnten noch von Glück sagen, wenn ein paar Französinnen uns halfen, die Nacht zu überstehen, ohne verrückt zu werden.
    An den Namen des Mädchens, wenn sie ihn mir denn verriet, kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich weiß noch, dass sie flachsfarbenes Haar und einen Leberfleck über dem Bauchnabel hatte, und dass ich den Gestank der Leichen und des getrockneten Blutes in ihren Armen nicht mehr roch, sondern den gesunden, milchigen Schweiß einer Frau; den Duft des Lebens, nicht des Todes.

    Robin war mit seinem Mädchen bereits fertig oder hatte noch nicht angefangen, als ich wieder in den Schankraum kam; auf jeden Fall saß sie neben ihm, während er aus seinem Becher trank. Sein Gesicht war leicht gerötet, er trug sein Wams nicht mehr, und man konnte sehen, dass etwas von dem Blut dieses Tages einen Weg auf das Hemd darunter gefunden hatte.
    »Guildford ist in St. Peter ad Vincula beerdigt«, sagte er abrupt, als ich mich zu ihm setzte. »Der Kapelle im Tower. Als sie ihn holten, sagte er zu uns anderen, er hoffte, er müsse noch lange auf uns warten. Glaubst du, Henry ist jetzt bei ihm?«
    »Das weiß Gott allein«, sagte ich müde.
    »Meine Mutter ist es bestimmt. Obwohl sie die Einzige in der Familie sein dürfte, die ein Anrecht hat, geradewegs ins Paradies zu kommen. Aber ich – ich kann mir nicht vorstellen …« Er ließ den Kopf sinken, seine Stimme wurde brüchiger, obwohl er sie immer noch zum Gehorsam zwang. »Ich kann mir nicht denken, dass sie ohne ihre Kinder zur Rechten Gottes sitzen wollte.«
    »Deine Mutter würde lieber das Fegefeuer in Kauf nehmen, als ohne ihre Kinder zu sein«, bestätigte ich und dachte an Jane, meine Base Jane, die in allem, was zählte, auch meine Mutter gewesen war. Robin hatte ihre Augen geerbt, was ihn, zusammen mit dem dunklen Haar seines Vaters, immer wie einen Südländer aussehen ließ, mehr als so manchen Spanier, den ich kannte. Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, auch noch ihn und Ambrose unter die Erde zu bringen; in jener Nacht schien es, als gäbe es nur Unglück für uns alle. Dann schaute Robin erneut auf, und ich konnte sehen, dass etwas von der Jungenhaftigkeit, die er bis zu diesem Zeitpunkt noch gehabt hatte, verschwunden war. Zum ersten Mal konnte man ihm jedes Jahr seiner über zwei Jahrzehnte anmerken.
    »Vetter Blount«, sagte er und schob die Hand des Mädchens zurück, die ihm unter das Hemd fahren wollte, »so etwas wird nie wieder geschehen.«
    Es war eine jener Feststellungen, die man macht, wenn man zu viel getrunken hat, und die nüchtern betrachtet keinen großen Sinn ergeben. Jeder Mensch schuldet Gott einen Tod, und ob sein Bruder, seine beiden Schwestern, meine Gemahlin und mein gerade geborener Sohn nun alle hundert Jahre alt wurden oder morgen von uns gingen, sterben würden sie, ganz wie er und ich auch. Aber ich war selbst erschöpft, gebrochen und durchwärmt von Branntwein und dem Mädchen, das in meinen Armen gelegen hatte, und in diesem Zustand verstand ich, was er meinte. Es waren nicht nur die Todesfälle; es war der Umstand, dass die Familie so tief gestürzt war. Jane hätte niemals in die Bedrängnis kommen dürfen, um das Leben ihrer Söhne betteln zu müssen und als Frau eines hingerichteten Verräters auf ihre Verwandten angewiesen zu sein, was ein Dach über dem Kopf und Krankenpflege betraf, weil sie sich keinen Arzt mehr leisten konnte.
    »Nun, dein Vater ist tot«, gab ich zurück, gerade noch nüchtern genug, um nicht fortzufahren, dass John Dudley uns durch seinen Ehrgeiz erst zu Verrätern an der Krone gemacht und damit die Folgen heraufbeschworen hatte; es war auch so klar, worauf meine Bemerkung zielte, und seine Söhne hatten schon oft genug gehört, wie andere Menschen ihren Vater in die Hölle wünschten. An jedem anderen Tag hätte ich darum auch die Bitterkeit
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