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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman
Autoren: Tanja Kinkel
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eingesetzt werden dürfte. »Das gilt für die meisten in diesem Heer«, sagte der Spanier unbeeindruckt. »Und wer glaubt Ihr zu sein, dass Ihr Euch diesen Ton herausnehmt? Ich glaube, es wird Euch guttun, zusammen mit Eurem jungen Vetter zu stehen. Euch und seinen Brüdern. Dann lernt Ihr vielleicht, was für ein Privileg es für die Überbleibsel eines toten ketzerischen Verräters ist, ihre Schande im ehrenhaften Dienst für die heilige Sache wiedergutmachen zu dürfen.«
    Die Erinnerung an jenen Tag ist noch so lebendig in mir, als wäre er erst gestern gewesen, und ich wünschte, es wäre nicht so. Das Wetter war schlecht bei St. Quintin; in der Nacht hatte es wie aus Eimern geregnet, und noch der Morgen war diesig, feucht und kalt. Pferde und Männer stakten knietief durch den Schlamm, während ich Henry nicht zum ersten Mal den Kopf wusch ob seiner Tollkühnheit, die uns alle das Leben kosten konnte.
    »Unsinn, Vetter Blount«, sagte er übermütig, »es wird alles gut werden. Wir kehren als Helden zurück!« Er preschte zum Flaggenträger und griff sich die Flagge. »Für England!«, rief er und hielt sie hoch. »Für Sankt Georg!«
    »Er ist verrückt«, entfuhr es Ambrose entgeistert.
    »Nein, er hat recht«, sagte Robin heftig und machte Anstalten, sich zu Henry zu gesellen. Ich schaffte es gerade noch, seinen Arm zu packen.
    »Lass mich los«, rief er aufgebracht – und in diesem Moment hörten wir das Donnern. Die ersten Kanonenkugeln schlugen in unserer Nähe ein.
    Keiner von uns hat Henry schreien hören. Er hatte nicht mehr die Zeit dazu.
    Henry wurde direkt getroffen, und anschließend blieben nur noch Fetzen von ihm. Dafür schrie sonst eigentlich jeder, weil die Franzosen mit ihrem Angriff schneller als erwartet begonnen hatten. Die feuchte, kalte Luft dröhnte vom Gebrüll unserer Männer, die fluchten, wirre Befehle zu geben versuchten oder nach ihren Vätern und Müttern schrien. Schon nach wenigen Augenblicken roch es wie in einem Schlachthaus.
    Nach der Schlacht bestand Robin zuerst darauf, dass Henry noch am Leben war. »Die Kugel ist nur in seiner Nähe eingeschlagen, und dadurch wurde er fortgeschleudert«, beharrte er. »Henry ist bewusstlos und liegt irgendwo unter den Leichen. Wir müssen ihn finden.«
    »Rob, er ist tot«, sagte Ambrose tonlos und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Wir haben doch gesehen, dass …«
    » Nichts haben wir gesehen!«, wies Robin den Einwand scharf zurück. »Er ist nur fortgeschleudert worden und wartet darauf, dass wir ihn finden. Oder er ist in französischer Gefangenschaft.«
    »Wir werden ihn suchen«, sagte ich begütigend, »und finden, so oder so.« Natürlich wusste ich, dass Ambrose recht hatte. Jane, dachte ich , Jane, verzeih mir. Margerys Brief über ihren Tod war erst am Vortag eingetroffen. Ich hatte es den Jungen noch nicht gesagt, weil ich es selbst nicht wahrhaben wollte. Und nun hatte ich mein letztes Versprechen an sie nicht einhalten können.
    Wir waren beileibe nicht die Einzigen, die auf dem Schlachtfeld nach Leichen suchten; einige Männer hatten gesehen, was mit Henry passiert war, und so ernteten wir verwunderte Blicke, doch keinen Hohn. Dann fand Ambrose eine Hand, nichts als eine Hand, mit einem Ring, den wir alle erkannten. Wie alle Dudley-Söhne hatte Henry jung geheiratet, in den Zeiten, als John Dudley der erste Mann im Königreich gewesen war, und seine Gattin, Lady Audley, hatte ihm diesen Ring geschenkt, der eigentlich der Siegelring ihres Vaters gewesen war; die Brüder hatten Henry deswegen immer geneckt. Ambrose fiel auf die Knie und begann, sich die Seele aus dem Leib zu würgen; ich muss gestehen, dass auch meine Knie weich wurden. Robin dagegen stand ganz einfach neben mir und sagte: »Das beweist noch gar nichts. Es ist nur die Hand. Man kann den Verlust einer Hand überleben.«
    Janes Tod, Henrys Tod und das ganze Elend schlugen über mir zusammen, und mir riss der Geduldsfaden. Ohne darüber nachzudenken, hob ich meine Hand und schlug Robin ins Gesicht, nicht mit der Faust, sondern mit der geöffneten Handfläche, wie man es bei einem Kind tut. »Wach auf«, schrie ich. »Dein Bruder ist tot .« Ich bin nicht stolz darauf; es war das Einzige, was ich tun konnte. Plötzlich beneidete ich Ambrose, der seiner Übelkeit wenigstens Ausdruck verleihen konnte.
    Robin starrte mich an. »Nein«, sagte er dann unbeirrt, »nein, ich werde ihn finden. Du wirst sehen.« Er wandte sich von mir ab und begann,
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