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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Autoren: Amanda Coplin
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Tisch und der Rosshaarsessel in der Ecke. Bei diesem Besuch schaute sie nicht in die Schlafzimmer. Das wäre zu viel gewesen. Später erfuhr sie, dass das Land an einen Mann verkauft worden war, der mehrere Grundstücke in der Gegend aufgekauft hatte und von weiter östlich hierher zu ziehen plante, was er aber bisher noch nicht getan hatte.
    Als sie fünf Jahre später wiederkam, befand sich die Plantage nur in geringfügig besserem Zustand. Ein älterer Schwarzer wohnte in der Hütte, der Angelene erklärte, er sei der Verwalter und arbeite für jenen Mann, der aus dem Osten hergezogen sei; sein Boss lebe aber in Spokane und komme nicht oft auf die Plantage. Angelene fragte, ob sie sich umschauen dürfe, sie habe früher selbst hier gelebt. Der Mann sagte, sie solle sich alle Zeit nehmen, die sie brauche. Dann musterte er sie und fügte hinzu, sie müsse sehr jung gewesen sein, als sie hier gelebt habe.
    Ich bin hier geboren, sagte sie.
    In die Hütte ging sie nicht. Der Mann lud sie nicht dazu ein, und sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem sie ihn darum bat. Und im Grunde wollte sie die Räume auch gar nicht sehen, die jetzt mit seinen Sachen möbliert waren und wo er sich völlig selbstverständlich bewegte und sie über Schwellen führen würde, über die sie so viele Male selbst gegangen war.
    Die größte Veränderung, diejenige, die sie bemerkt hatte, noch bevor der Mann um die Hütte herumkam, war die, dass der Aprikosengarten verschwunden war. Nicht nur geschrumpft: verschwunden. Jeder einzelne Baum war gefällt, der Boden gerodet worden. An seiner Stelle gab es jetzt einen Gemüsegarten. Salat vor allem, sagte der Mann. Auch mit Mais wollten sie es versuchen.
    Was ist mit den Aprikosen passiert?, fragte Angelene. Der Mann sagte, sie hätten die Bäume drei – oder vier? – Jahre zuvor abgeholzt. Er zuckte mit den Schultern, so als wollte er sagen, sie hätten ihm nichts bedeutet.
    Die vordere Wand der Scheune war weggenommen worden, und drinnen war ein alter Ford Modell T aufgebockt, an dem der Mann offenbar gerade gearbeitet hatte, als Angelene kam. Nachdem sie sich unterhalten hatten, machte er sich wieder an die Arbeit, und Angelene ging zum Apfelgarten.
    Dieser Garten war zwar überwuchert, ansonsten aber unverändert. Eine halbe Stunde lang suchte sie vergebens ihr eigenes abgeteiltes Stück Land. Dort, wo sie es vermutete, standen nur weitere Apfelbäume. Sie ging immer weiter, verlor die Orientierung, und als sie gerade aufgeben wollte, fand sie es doch. Es war ebenfalls überwuchert und brachte nichts als Unkraut hervor, doch da waren die Pflöcke, die Talmadge eingeschlagen hatte, als sie neun Jahre alt war, sowie eine Drahtspirale vom Zaun. Sie stand lange Zeit davor.
    Sie überlegte, zu dem Mann zurückzugehen und ihm zu sagen, dass sie zur Hochebene hinaufwandern würde, um sich die Gräber anzusehen, damit er sich nicht wunderte, warum sie so lange fortblieb; doch er gehörte bestimmt nicht zu den Leuten, dachte sie dann, die sich Sorgen machten, sondern würde ihre Privatsphäre respektieren. Außerdem wusste er ja, dass sie sich hier gut auskannte. Und so wanderte sie los. Und war überrascht, dass der Weg weder besonders weit noch so beschwerlich war, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Sie brauchte höchstens zwanzig Minuten. Sie hatte damit gerechnet, außer Atem und erschöpft oben anzukommen, und nun war kaum genug Zeit gewesen, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Sie sah die Pappel, unter der sich die Gräber befanden – sie war nicht so hoch, wie sie gedacht hatte –, und näherte sich ihr mit einem Gefühl von Unwirklichkeit. Dies konnte doch nicht der bewusste Baum sein, aber die Gräber waren da, im schraffierten Schatten, mitten im gelben Gras. Die beiden hellen Steine und Talmadges Stein, den Angelene ausgesucht hatte. Drei Gräber nebeneinander. Sie stand da und betrachtete sie. Jemand anders hätte das Gras gezupft, das die Steine bedeckte, doch sie ließ alles unangetastet. Es war nicht wichtig.
     
    Wenn sie später, nach diesem Besuch, an die Plantage dachte, sah sie den schwarzen Verwalter vor sich, der dort lebte, den verschwundenen Aprikosengarten und die offene Scheune mit dem aufgebockten Modell T. Den alten Beagle, den der Mann sich als Haustier hielt und der um die Hütte herumkam und an ihren Knöcheln schnupperte.
    Doch wenn sie davon träumte, dann war es die Plantage ihrer Kindheit, mit dem in der Sonne prangenden Aprikosengarten, den auf dem
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