Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Autoren: Amanda Coplin
Vom Netzwerk:
paar Minuten lang saßen sie schweigend da.
    Dann ist er also zurück, sagte Della. Sie haben ihn entlassen.
    Ja, sagte Angelene. Er durfte wegen guter Führung früher raus. Und wieder bereute sie ihre Worte: War es in Ordnung, das zu ihr zu sagen? Zu jemandem, der noch in Haft war? Kam das für Della überhaupt infrage – wegen guter Führung vorzeitig entlassen zu werden? Angelene fühlte sich dumm; sie sah in ihren Schoß.
    Aber Della schien nur halb bei der Sache.
    Das Schweigen verdichtete sich und mit ihm auch Angelenes Befangenheit. Sie sah in eine Ecke des Raumes und hoffte, gelassen zu wirken. Sie spürte Dellas Blick auf sich. Soll sie ruhig schauen, dachte Angelene. Und seltsamerweise störte es sie nicht, ja, es entspannte sie sogar ein wenig; Angelene hätte nicht sagen können, warum. Als sie ihrem Blick begegnete, schaute Della weg.
    Sie haben uns dein Pferd gebracht, sagte Angelene, und Della hob die Augenbrauen.
    Das Pferd, das sie für dich in Stehekin untergestellt hatten …
    Erneut spürte Angelene einen Stich, so dumm kam sie sich vor. Warum reden, warum die Aufmerksamkeit auf etwas lenken, das nicht geklappt hatte? Sie wandte rasch den Blick ab und merkte, wie sie rot anlief.
    Aber Della schien Angelenes Unbehagen gar nicht wahrzunehmen. Was ist es denn für eins?
    Ein graues – mit gesprenkeltem Rumpf.
    Appaloosa.
    Ja, sagte Angelene und fügte hinzu: Es ist ziemlich groß. Ich brauche einen Hocker, um raufzukommen. Ich … ich reite es jetzt.
    Das lässt er zu?
    Ja.
    Della nickte zerstreut.
    Was denkst du, sagte sie dann. Hätte ich auf das Schiff gehen sollen?
    Angelene stutzte.
    Wie meinst du das?
    Wärst du in den Schrank da reingegangen? Auf dem Schiff? Hättest du das gemacht?
    Ich weiß nicht, sagte Angelene nach ein paar Sekunden. Ich bin nicht du. Dann ganz leise: Ich weiß nicht, was ich getan hätte.
    Della dachte kurz nach.
    Aber wenn er es gewollt hätte, hättest du es getan.
    Angelene antwortete nicht gleich. Ich weiß nicht, wiederholte sie dann. Du hattest deine Gründe für das, was du getan hast. Wenn ich nicht auf das Schiff gegangen wäre, hätte ich meine eigenen Gründe gehabt. Jeder muss für sich selbst entscheiden, sagte sie und wusste, dass sie nur nachplapperte, was sie von jemand anderem gehört hatte.
    Della nickte. Trotzdem … glaubst du, ich habe mich falsch entschieden?
    Glaubst
du
das denn?, fragte Angelene hilflos zurück; sie ließ sich nicht gern so verhören.
    Die Frage überraschte Della nicht. Sie blickte in eine Ecke des Raums. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie antwortete.
    Ja. Auch wenn ich es nicht wollte, hätte ich es tun sollen. Sie hielt inne. Weil er sich all die Mühe gemacht hatte. Und weil es die einzige Möglichkeit war, dich wiederzusehen, oder? Schon dafür hätte ich es tun sollen.
    Einige Minuten lang sagte keine von ihnen etwas. Angelene versuchte, sich an ihre Gefühle nach der gescheiterten Flucht zu erinnern. Manches war ihr so deutlich im Gedächtnis geblieben: die Menschenmenge am Strand, von oben betrachtet, die sich wie ein einziger Körper vorwärtsbewegte; das kalte, schwammige Holz unter ihren Handflächen, als sie sich auf die Brüstung der Aussichtsplattform gestützt hatte; das Grinsen – das schreckliche Grinsen, wie sie später dachte – der Frau aus der Dreiergruppe, die sich ihr zugewandt und gesagt hatte: Was zum Teufel war
das?
; Talmadge auf Knien, unverständliche Schwüre murmelnd; ihre schneeweißen Hände, die sich nach ihm ausstreckten; Della, die weggerissen und die Treppe hinaufgezerrt wurde … Doch das meiste war verschwommen. An die Wochen zwischen dem Vorfall selbst und dem Beginn von Talmadges Haftstrafe, mit den Gerichtsverhandlungen und der Urteilsverkündung, hatte sie so gut wie keine Erinnerung. War sie wütend auf Della gewesen? In all den Monaten, als Talmadge wieder und wieder nach Chelan gefahren war, um Della zu besuchen, hatte Angelene ein wechselndes Maß an Unmut empfunden. Falls es Wut war, hatte diese sich gegen Talmadge gerichtet, gegen die Sturheit, mit der er einen Kampf führte, der ihrer Meinung nach (aber auch diese Sichtweise war von Caroline Middey beeinflusst) aussichtslos war.
    Doch als Talmadge ihr von Jane und Della als Kindern erzählte, die schwanger auf die Plantage gekommen waren, und von Dellas Leid, das sich von Janes unterschied, änderte sich etwas. Sie sah, dass Della, nachdem Jane sich erhängt hatte, völlig allein auf der Welt gewesen war, und dieses
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher