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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Autoren: Amanda Coplin
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nach Ihnen ausschaut. Da ist jemand, der Sie sucht.
    Talmadge blickte stirnrunzelnd zu Boden. Draußen wehte eine heiße Brise. Und wer?, fragte er.
    Weiß nicht. Sagt, er kommt vom Okanogan runter. Ist hinter ein paar Mädchen her.
    Talmadge sah auf. Ein paar Mädchen?
    Glaub schon. Ist vor ein paar Tagen in der Stadt aufgetaucht und hat nach seinen Mädchen gefragt, sind anscheinend abgehauen oder so was, und Willie Angell meint, da waren zwei, auf die seine Beschreibung passt, die wär’n erst diese Woche mit ein paar Äpfeln von Ihnen getürmt.
    Talmadge, neben seinem Wagen, zögerte. Er zupfte an seiner Hutkrempe, während Weems einen Korb Aprikosen zu sich heranzog, um sie zu begutachten.
    Stimmt das?, fragte Weems. Dass ein paar wilde Mädchen Ihnen Obst geklaut haben?
    Talmadge zupfte an seiner Krempe. Nee, sagte er. Er setzte ein empörtes Gesicht auf. Ist niemand mit irgendwas getürmt.
    Aber gesehen haben Sie die? Die Mädchen?
    Talmadge antwortete nicht. Er blickte rasch über Weems’ Rücken; Weems hatte sich vorgebeugt, um die Früchte näher zu betrachten. Nehmen Sie die Aprikosen jetzt oder nicht?
    Na schön, na schön, sagte Weems lächelnd. Er zog den Korb zu sich heran, wuchtete ihn sich auf die Schulter und trottete damit zurück zum Wirtshaus.
    Talmadge ließ den Blick über die leere Straße schweifen. In der Ferne erhob sich die Gebirgskette, deren Hauptkämme selbst jetzt schneebedeckt waren. Er schaute noch eine Zeit lang auf die dunkle Masse der Berge mit dem wellenförmigen Weizen darunter, bevor er Weems ins Wirtshaus folgte.
     
    Auf dem Rückweg machte er bei Caroline Middey halt. Sie hatte Wildgulasch gekocht. Sie setzten sich mit ihren Schüsseln auf die Veranda, aßen und blickten über die Weizenfelder vor dem Haus. Er erzählte ihr von den Mädchen. Falls sie überrascht war, zeigte sie es nicht. Sie aß weiter, zog die Brauen ein wenig zusammen, und als er mit dem Erzählen fertig war, schwieg sie lange. Schließlich sagte sie: Wann war das? Vor zwei Tagen, antwortete er. Dann schwieg sie wieder.
    Er kannte sie seit seiner Kindheit. Als junge Frau von zwanzig Jahren hatte sie eine Lehre bei dem alten Kräuterheilkundler im Ort gemacht, und sie war es, an die Talmadge und Elsbeth sich gewandt hatten, als ihre Mutter krank geworden war. Caroline Middey war zu ihnen gekommen, in die beengte, übel riechende Bergarbeiterbaracke, wo Talmadges Mutter unter einer schweren Decke lag, seinen Mantel um die Füße gewickelt. Bleich wie ein Fisch. Sie wird sterben, sagte Caroline Middey zu den Kindern, die abseits in einem schütteren Apfelbaumwäldchen standen. Schon damals war Caroline Middey in ihren Diagnosen schonungslos. Habt ihr verstanden?, fragte sie die Kinder. Sie sagte Talmadge und Elsbeth, was sie tun müssten, um das Leiden ihrer Mutter zu lindern, und was sie danach mit ihrem Leichnam machen sollten. Elsbeth weinte, aber Talmadge hörte gut zu und versuchte, sich alles zu merken, was Caroline Middey sagte. Auch sie selbst vergoss keine Träne. Schon damals hätschelte sie Kinder nicht. Wer hat in dieser Gegend schon eine Kindheit?, sagte sie oft. Wenn man geboren werde, sei der Tod bereits im Zimmer, warte bereits auf einen. Und sie musste es wissen, denn sie war nicht nur die Kräuterheilkundlerin, sondern auch die Hebamme des Ortes. Besser, man lernte sein Gesicht – das Gesicht des Todes – beizeiten erkennen, sagte sie.
    Als er an Pocken erkrankte, kam Caroline Middey nicht zu ihnen, denn sie wollte sich nicht anstecken, und sie war böse und ärgerlich auf Elsbeth, dass sie Hilfe aus der Stadt zu holen versuchte, wo sie doch selbst womöglich eine Überträgerin der Krankheit war. Aber immerhin gab Caroline Middey ihr ein Säckchen Kräuter und ein paar Anweisungen, bevor sie sie wegschickte. Und verbot ihr, wieder in die Stadt zu kommen, selbst wenn Talmadge starb. Falls sein Zustand sich verschlechtere oder er sterbe, solle sie einen Monat lang allein auf ihrer Obstplantage bleiben. Caroline Middey selbst zog sich in ihr Haus zurück, nachdem sie ein Quarantäneschild auf dem Feld aufgestellt hatte, und wartete ab, ob sie krank werden würde. Sie wurde es nicht und Elsbeth erstaunlicherweise auch nicht.
    In dem Jahr, nachdem seine Schwester verschwunden war, schnitt Talmadge sich mit einem Angelhaken tief in die Hand, und als die Wunde sich entzündete, ging er zu Caroline Middey. Sie machte ihm eine Tinktur und einen ordentlichen Verband. Er blieb den Nachmittag
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