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Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)

Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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Hexe, dachte sie.
    Das musste sie bewundern.
     
    Die Träume kamen immer spät in der Nacht, wenn ihr Geist offen und empfänglich war und ihr Wille ruhte. Bei Tag konnte sie es verdrängen, sich davor verschließen und zu der Wahl stehen, die sie vor über zehn Jahren getroffen hatte.
    Aber der Schlaf war eine Macht ganz eigener Art, und er verleitete zu Träumen.
    In ihren Träumen stand sie an dem Strand, wo sich die Wellen wie gigantische Ungeheuer aus der nächtlichen Dunkelheit erhoben. Sie schlugen donnernd ans Ufer, schwarz
und heftig, wie tausend wilde Herzschläge unter einem blinden Himmel.
    Das einzige Licht kam von den grellen, zickzackförmigen Blitzen, die jedes Mal durch die Wolken zuckten, wenn sie die Arme hob. Und das Licht, das von ihr ausstrahlte, war ein zorniges Gold, umrandet von todbringendem Rot.
    Der Sturm heulte und toste.
    Seine Gewalt, seine pure, ungezügelte Macht elektrisierte sie an irgendeinem tiefen und geheimen Ort in ihrem Inneren. Sie war jetzt jenseits von allem, jenseits von Recht, jenseits von Regeln. Jenseits von Hoffnung.
    Und ein Teil von ihr, etwas in ihrem Inneren, das noch nicht erloschen war, weinte bittere Tränen um den Verlust. Sie hatte getan, was sie hatte tun müssen, und jetzt war das Unrecht gesühnt. Tod zu Tod zu Tod. Ein Kreis, geformt aus Hass. Ein mal drei.
    Sie schrie triumphierend auf, als der dunkle Rauch schwarzer Magie in sie hineinströmte, als er verwischte und erstickte, was sie gewesen war, was sie gelobt hatte. Was sie geglaubt hatte.
    Das hier, dachte sie, als ihre hohlen Hände unter der Wucht und der Gier erzitterten, ist besser. Sehr viel besser. Was vorher gekommen war, war bleich und schwach, ein Nichts im Vergleich zu der Kraft und Macht dessen, was jetzt war.
    Sie konnte alles und jedes tun. Sie konnte nehmen, und sie konnte herrschen. Es gab nichts und niemanden, der sie daran hindern könnte.
    In einem wilden, wahnsinnigen Tanz wirbelte sie über den Sand ihre Arme wie Schwingen ausgebreitet, während sich ihr langes Haar wie Schlangen um ihre Schultern ringelte. Sie konnte den Tod des Mörders ihrer Schwester auf der Zunge schmecken, den warmen, süßen Geschmack des Blutes, das sie vergossen hatte, und sie wusste, sie hatte noch nie etwas
so Köstliches geschmeckt. Sie lachte triumphierend, ein schrilles Lachen, das wie Blitzstrahlen aus ihrem Mund herausschnellte und Risse in die schwarze Wölbung des Himmels sprengte. Sintflutartiger dunkler Regen strömte herab und zischte wie ätzende Säure auf dem Sand.
    Er rief nach ihr.
    Von irgendwo durch die stürmische Nacht und ihren eigenen Zorn hörte sie seine Stimme. Das kleine Flackern dessen, was noch in ihr gewesen war, mühte sich verzweifelt ab, heller zu brennen.
    Sie sah ihn, nicht mehr als ein Schatten, der sich durch den Sturm und den Regen kämpfte, um zu ihr zu gelangen. Liebe rang und weinte in einem Herzen, das erkaltet war.
    »Zurück! Geh zurück!«, schrie sie ihn an, und ihre Donnerstimme ließ die Welt erzittern.
    Aber er kam trotzdem näher und immer näher, die Hände nach ihr ausgestreckt – um sie an sich zu ziehen, um sie zurückzubringen. Und sie sah, nur für einen flüchtigen Augenblick, das Funkeln seiner Augen in der dunklen Nacht, sah den Glanz, der Liebe und Furcht war.
    Plötzlich kam eine Lanze aus Feuer aus dem Himmel herabgeschossen  – grelles Gold, umrahmt von tödlichem Rot. Und noch während sie gellend aufschrie, noch während jenes kleine Licht in ihr aufflackerte, wurde er von der Lanze durchbohrt.
    Sie fühlte seinen Tod in ihrem Inneren. Der Schmerz und der Horror dessen, was sie ausgesandt hatte, kehrten zu ihr zurück, trafen sie mit dreifacher Gewalt.
    Und das Licht in ihrem Inneren erlosch. Und hinterließ eine eisige Kälte in ihr.

2
    Er sah eigentlich nicht so viel anders aus als die anderen Passagiere auf der Fähre. Sein langer dunkler Mantel flatterte im Wind. Sein Haar, ein gewöhnliches Dunkelbond wehte um sein Gesicht und hatte keinen besonderen Schnitt.
    Er hatte daran gedacht, sich zu rasieren, und hatte sich bloß zweimal dabei geschnitten, direkt unter der starken Linie seines Kinns. Sein Gesicht – und es war ein attraktives Gesicht  – war hinter einer seiner Kameras versteckt, als er mit einem Teleobjektiv Schnappschüsse von der Insel machte.
    Seine Haut wies noch immer die tropische Sonnenbräune auf, die er sich auf Borneo geholt hatte. Seine Augen in dem sonnengebräunten Gesicht waren von dem leuchtenden
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