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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke
Autoren: Sarah Lark
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selbstverständlich nahmen die beiden Frauen die Küche und die Wirtschaftsräume wieder in Besitz.
    »Du darfst es Tonga nicht zum Vorwurf machen, sonst scheitern womöglich die Verhandlungen. Ich glaube, er macht sich selbst Vorwürfe. Soweit ich verstanden habe, hat einer seiner Krieger die Beherrschung verloren. Er sah die Würde seines Häuptlings bedroht und hat Paul erstochen – von hinten! Tonga muss sich in Grund und Boden schämen. Dabei gehörte der Mörder nicht mal zu Tongas Stamm. Tonga hat also keine Gewalt über ihn. Deshalb wurde er auch nicht bestraft. Tonga hat ihn nur zu seinen Leuten zurückgeschickt. Wenn du willst, kannst du die Sache amtlich untersuchen lassen. Tonga und wohl auch Marama waren Zeugen und würden vor Gericht nicht lügen.« James füllte Tee und viel Zucker in eine Tasse und versuchte, sie Gwyneira in die Hand zu geben.
    Gwyneira schüttelte den Kopf. »Was sollte das ändern?«, fragte sie leise. »Der Krieger sah seine Ehre bedroht, Paul sah seine Frau bedroht, Howard fühlte sich beleidigt ... Gerald hat ein Mädchen geheiratet, das er nicht liebte ... Eins führt zum anderen, und es hört niemals auf. Ich bin das alles so leid, James.« Sie zitterte am ganzen Körper. »Und ich hätte Paul so gern noch gesagt, dass ich ihn liebe.«
    James zog sie an sich. »Er hätte gewusst, dass du lügst«, sagte er leise. »Du kannst es nicht ändern, Gwyn.«
    Sie nickte. »Ich werde damit leben müssen, und ich werde mich jeden Tag dafür hassen. Es ist seltsam mit der Liebe. Ich konnte nichts für Paul empfinden, aber Marama hat ihn geliebt ... so selbstverständlich, wie sie atmete, und ohne Vorbehalte, egal was Paul getan hat. Sie war seine Frau, sagst du? Wo ist sie? Hat Tonga ihr etwas angetan?«
    »Ich nehme an, dass sie offiziell Pauls Frau war. Tonga und Paul haben sich jedenfalls um sie geprügelt. Paul war es also ernst. Wo sie jetzt ist, weiß ich nicht. Ich kenne die Trauerzeremonien der Maoris nicht. Wahrscheinlich hat sie Paul begraben und sich zurückgezogen. Wir werden Tonga fragen müssen oder Kiri.«
    Gwyneira straffte sich. Ihre Hände zitterten immer noch, aber sie schaffte es jetzt, die Finger an der Teetasse zu wärmen und die Tasse auch zum Mund zu führen. »Wir müssen es herausfinden. Es darf nicht sein, dass dem Mädchen auch noch etwas passiert. Ich muss sowieso ins Dorf, so bald wie möglich, ich will es hinter mich bringen. Aber heute nicht mehr. Nicht in dieser Nacht. Diese Nacht brauche ich für mich. Ich will allein sein, James ... ich muss nachdenken. Morgen, wenn die Sonne hoch steht, werde ich mit Tonga reden. Ich werde um Kiward Station kämpfen, James! Tonga wird es nicht bekommen!«
    James nahm Gwyneira in die Arme und trug sie behutsam in ihr Schlafzimmer. »Was immer du willst, Gwyn. Nur allein lassen werde ich dich nicht. Ich werde da sein, auch in dieser Nacht. Du kannst weinen oder von Paul erzählen ... es muss doch auch gute Erinnerungen geben. Manchmal musst du auch stolz auf ihn gewesen sein! Erzähl mir von ihm und Marama. Oder lass mich dich einfach in den Armen halten. Du musst nicht reden, wenn du nicht willst. Aber du bist nicht allein.«

    Gwyneira trug ein schwarzes Kleid, als sie Tonga am Seeufer traf, zwischen Kiward Station und dem Dorf der Maoris. Verhandlungen führte man nicht in geschlossenen Räumen, Götter, Geister und Ahnen sollten Zeugen sein. Hinter Gwyneira standen James, Andy, Poker, Kiri und Moana. Hinter Tonga ungefähr zwanzig grimmig blickende Krieger.
    Nachdem ein paar förmliche Begrüßungen ausgetauscht waren, sprach der Häuptling Gwyn noch einmal sein Bedauern über den Tod ihres Sohnes aus – in gemessenen Worten und perfektem Englisch. Gwyneira erkannte Helens Schule. Tonga war eine seltsame Mischung zwischen Wildem und Gentleman.
    »Der Gouverneur hat entschieden«, sagte Gwyneira dann mit fester Stimme, »dass der Verkauf des Landes, das man heute Kiward Station nennt, nicht in jeder Hinsicht den Richtlinien des Vertrages von Waitangi entsprach ...«
    Tonga lachte spöttisch. »Nicht in jeder Hinsicht? Der Verkauf war rechtswidrig!«
    Gwyneira schüttelte den Kopf. »Nein, das war er nicht. Er erfolgte vor dem Vertragsabschluss, der den Maoris einen Mindestpreis für ihr Land zusicherte. Gegen einen Vertrag, der noch nicht bestand – und den die Kai Tahu obendrein nie unterschrieben haben –, konnte man nicht verstoßen. Dennoch hat der Gouverneur befunden, dass Gerald Warden euch beim Kauf
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