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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten
Autoren: belago
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Gefühl gewesen. Und erwischt worden waren sie auch nicht – wie von Wim vorausgesagt.
    Die Zeit bis zu den Ferien verrann viel zu schnell.
    »Juliette? Nun komm, ich glaube, die Kutschen sind schon da.«
    Sofia stand abreisefertig in der Tür.
    Julie lag lesend auf ihrem Bett, bereits in Reisegarderobe, aber keineswegs sonderlich zur Eile gewillt. Müßig klappte sie unter Sofias drängendem Blick das Buch zu und legte es auf das kleine Nachttischchen. Seufzend stand sie von ihrem Bett auf, strich zuerst die Decke glatt und dann ihr schlichtes braunes Kleid, um sich anschließend prüfend im Spiegel zu betrachten.
    Bei ihrer Ankunft in Elburg hatte ihr ein kleines Mädchen aus diesem Spiegel entgegengeblickt, jetzt betrachtete Julie die Silhouette einer jungen Frau. Julie war zwar nicht so hochgewachsen wie Sofia, zeigte dafür aber an den richtigen Stellen etwas mehr weiche Kurven als ihre schlaksige Zimmergenossin.
    Die anderen Mädchen befanden Julie immer für hübsch, mit ihrem goldblonden Haar, ihren fein geschnittenen Gesichtszügen und der kleinen, etwas zu spitzen Nase. »Du siehst aus wie eine echte Aristokratin«, witzelte Sofia gerne.
    »Ja, ja, und eines Tages kommt ein Prinz auf seinem Pferd und rettet mich«, sagte Julie dann stets, während sich eine steile Falte zwischen ihren eisblauen Augen bildete, wie immer, wenn sie ungehalten war. Auch jetzt zeigte sich dieser unverkennbare Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie seufzend das Hütchen auf ihrem Haar zurechtrückte.
    Sofia hatte in den vergangenen Tagen immer und immer wieder versucht, Julie die Vorzüge von Amsterdam schmackhaft zu machen. Allerdings nur mit geringem Erfolg. Der Schatten von Julies Onkel schwebte über Amsterdam, und das machte Julie eher Angst, als dass sie sich auf diese Reise freuen konnte. Er war ein Fremder, er war in Julies Leben gepoltert und hatte sie damals aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Manchmal war sie furchtbar wütend auf ihn. Und er war wohl mehr an ihrem Erbe als an ihr interessiert, da war Julie sich inzwischen ziemlich sicher. Sie machte sich nicht viel aus Geld und hatte damals nicht verstehen können, wie es sich mit dem Erbe ihrer Eltern verhielt. Sie schien aber versorgt, Frau Koning hatte ihr gegenüber angedeutet, sie brauche sich in finanzieller Hinsicht keine Sorgen zu machen. Aber jedes Mal, wenn sie nach Amsterdam musste, war sie auf der Hut. Sie fürchtete, ihr Onkel könnte ihr wieder etwas wegnehmen oder sie gar irgendwohin schicken, wo sie nicht hinwollte. Die Erinnerungen an den lieblosen Abschied vor acht Jahren und der Schmerz saßen noch tief. Ihre Eltern, die hatte ihr das Schicksal genommen. Ihrer Heimat aber, ihrem Elternhaus, allen ihr Vertrauten hatte er sie entrissen. In Julies Herz hatte sich eine unauslöschbare Kälte gegenüber diesem Mann gebildet. Er mochte sie nicht, und er wollte sie nicht. Das hatte sich im Laufe der Jahre nie geändert.
    Sofia, die jetzt bemerkte, dass Julie in Grübelei verfiel, legte tröstend, aber mit resolutem Nachdruck den Arm um Julies Schultern. »Nun komm. Wir schauen mal, ob die Wagen schon da sind.« Sofia schob ihre Freundin zur Tür.
    Als Sofia durch das Fenster im Korridor die Kutsche ihrer Eltern erspähte, rannte sie mit gerafftem Rock, so schnell wie es sich gerade noch geziemte, davon. Julie freute sich kurz für ihre Freundin. Sofias Eltern waren wirklich herzensgute Menschen.
    Als Julie kurz darauf vor das große Portal des Internats trat, zog sie ihren Umhang fester um sich. Es war der 20. Dezember, früh am Morgen und bitterkalt. Vor dem Haus herrschte rege Betriebsamkeit. Sofias Mutter kam gleich mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Juliette, wie schön, dich wiederzusehen, wie geht es dir?«
    »Danke, gut, Mevrouw de Week«, sagte Julie freundlich, auch wenn ihre Worte nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Als sie sich jetzt auf dem Vorplatz der Schule umschaute, sah sie auch die Kutsche ihres Onkels. In großen, verschnörkelten goldenen Lettern stand »WV« für Wilhelm Vandenberg auf der Tür. Der Kutscher zog ein mürrisches Gesicht, er hatte schließlich eine ganze Weile auf Julie warten müssen. Julies Mitleid allerdings beschränkte sich auf die Pferde, die so lange in der Kälte hatten stehen müssen. Sie verdrängte den Anflug von schlechtem Gewissen, winkte ihrer Freundin noch einmal wehmütig zu und straffte sich schließlich, um ihren Pflichtbesuch anzutreten.

Kapitel 2
    Wilhelm Vandenberg stand am Fenster seines
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