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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals
Autoren: Orwell George
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der im ganzen höchst aufschlußreich für mich war. An sich hatte er keine große Bedeutung, aber er verschaffte mir eine tiefere Einsicht in die wahre Natur des Imperialismus, als ich bisher gehabt hatte – in die wirklichen Motive, nach denen despotische Regierungen handeln. Eines Tages rief mich der Unterinspektor einer Polizeistation am andern Ende der Stadt frühmorgens an und sagte, ein Elefant sei im Begriff, den Basar zu verwüsten. Ob ich nicht hingehen und etwas dagegen unternehmen könnte? Ich wußte zwar nicht, was ich dagegen unternehmen sollte, aber ich wollte sehen, was los war, und so nahm ich mir ein Pony und ritt los. Ich hatte mein Gewehr bei mir, eine alte Winchester 44, die viel zu schwach war, um damit etwas gegen einen Elefanten auszurichten, aber ich dachte, der Knall würde ihn vielleicht einschüchtern. Auf dem Weg zum Basar hielten mich mehrere Burmesen an, um mir zu berichten, was der Elefant trieb. Es war natürlich kein wilder, sondern ein zahmer Elefant, der brünstig geworden war. Er war, wie alle zahmen Elefanten in diesem Zustand, die Nacht vorher an die Kette gelegt worden, hatte sich jedoch losgerissen und war ausgerückt. Sein Mahoud, der einzige, der imstande war, unter diesen Umständen mit ihm fertig zu werden, hatte sich sofort an seine Verfolgung gemacht, aber die falsche Richtung eingeschlagen, und mußte im Augenblick so weit fort sein, daß er vor zwölf Stunden nicht wieder zurückerwartet werden konnte. Der Elefant war bei Tagesanbruch unvermutet wieder in der Stadt aufgetaucht. Die Burmesen hatten keine Waffen und waren gegen das Tier vollkommen machtlos. Es hatte bereits mehrere Bambushütten umgerissen, eine Kuh getötet und verschiedene Obststände überfallen und niedergetrampelt. Dann war er auf den Wagen der städtischen Müllabfuhr losgegangen und hatte ihn, nachdem der Fahrer abgesprungen war und sich aus dem Staub gemacht hatte, umgeworfen und schwer beschädigt.
    Der burmesische Unterinspektor und mehrere indische Polizisten warteten auf mich in dem Viertel, in dem der Elefant zuletzt gesehen worden war. Es war ein ärmliches Viertel, ein Labyrinth elender, mit Palmblättern gedeckter Bambushütten, die sich an einem steilen Hang hinzogen. Ich erinnere mich, daß es ein trüber, erstickend heißer Tag zu Beginn der Regenzeit war. Wir fragten zunächst die Bewohner, wohin sich der Elefant gewandt hätte, bekamen aber wie gewöhnlich keine Auskunft. Im Osten ist das nie anders. Aus der Entfernung erscheint ein Vorfall immer völlig klar. Je näher man aber dem Schauplatz kommt, desto verworrener werden die Angaben. Die einen behaupteten, der Elefant sei in diese, die andern, er sei in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Wieder andere erklärten, sie hätten überhaupt nichts von einem Elefanten gehört. Ich war schon beinahe geneigt zu glauben, das Ganze sei ein einziger Schwindel, als wir aus geringer Entfernung schreien hörten. Es war ein lauter, empörter Schrei: »Weg da, Kinder! Wollt ihr wohl sofort da weggehen!«, und eine alte Frau kam hinter einer Hütte zum Vorschein, eine Schar nackter Kinder mit einer Art Besen vor sich her treibend. Schwatzend und schreiend folgten ihr andere Frauen. Offenbar gab es da etwas, das die Kinder nicht sehen sollten. Ich lief um die Hütte und erblickte am Boden die Leiche eines Mannes. Es war ein Inder, ein schwarzer Drawidischer Kuli, fast nackt, und er konnte erst wenige Minuten tot sein. Die Leute erzählten, der Elefant sei plötzlich hinter einer Hütte hervorgebrochen, habe den Mann angefallen, ihn mit dem Rüssel gepackt, zu Boden geschleudert und dann totgetrampelt. Es war Regenzeit, die Erde aufgeweicht, und der Kopf des Mannes hatte eine fußtiefe Spur von einigen Yards Länge hinterlassen. Er lag auf dem Bauch, beide Arme weit ausgebreitet, mit seitlich scharf abgeknicktem Kopf. Das Gesicht war schlammbedeckt, die Augen offen, die Zähne entblößt, grinsend mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Angst. (Nebenbei: niemand soll mir erzählen, daß Tote friedlich aussehen. Die meisten, die ich gesehen habe, sahen teuflisch aus.) Der Elefant hatte ihm mit seinem Riesenfuß die ganze Haut vom Rücken gerissen. Man hätte ein Kaninchen nicht sauberer abziehen können. Als ich den Toten gesehen hatte, schickte ich einen Polizisten zu einem in der Nähe wohnenden Freund mit der Bitte, mir seine Elefantenbüchse zu leihen. Das Pony hatte ich bereits zurückgeschickt, weil ich fürchtete, es könnte wild werden,
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