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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals
Autoren: George Orwell
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einfach, es wirft Probleme des inneren Aufbaus und der Sprache auf, und auf neue Weise das Problem der
    Wahrhaftigkeit. Ich möchte als Beispiel für eine der größeren Schwierigkeiten dieser Art mein Buch über den Spanischen
    Bürgerkrieg, Mein Katalonien, heranziehen, ein eindeutig politisches Buch, das ich jedoch mit einer gewissen Distanz und Rücksicht auf die literarische Form verfaßt habe. Ich habe schwer darum gekämpft, die ganze Wahrheit zu sagen, ohne
    meinen künstlerischen Instinkten Gewalt anzutun. Unter
    anderem enthält es jedoch ein langes Kapitel, das nur aus
    Zeitungsmeldungen und dergleichen besteht, in dem ich für die Trotzkisten eintrete, die man beschuldigte, mit Franco unter einer Decke zu stecken. Es ist klar, daß ein derartiges Kapitel, das nach einem oder zwei Jahren keinen Leser mehr interessiert, das Buch kaputtmachen mußte. Ein Kritiker, den ich schätze, erklärte mir sein Mißfallen folgendermaßen: »Warum haben Sie
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    dieses ganze Zeug in das Buch aufgenommen? Es hätte ein guter Roman werden können, aber Sie haben Journalismus draus
    gemacht.« Was er sagte, war vollkommen richtig, doch ich hätte nicht anders handeln könne n. Mir war zufällig bekannt, was nur wenigen Menschen in England nicht verborgen blieb, daß
    nämlich Unschuldige das Opfer einer falschen Anklage waren.
    Wenn mich das nicht grenzenlos empört hätte, hätte ich das ganze Buch überhaupt nicht geschrieben.
    In der einen oder ändern Form taucht das gleiche Problem
    wieder auf. Das sprachliche Problem ist komplizierter und
    würde hier zu weit führen. Ich möchte nur sagen, daß ich in den letzten Jahren versucht habe, weniger bilderreich, dafür präziser zu schreiben. Auf jeden Fall habe ich die Beobachtung gemacht, daß man über jeden Stil, sobald man ihn bis zur
    Vollkommenheit entwickelt hat, schon wieder hinausgewachsen ist. Farm der Tiere war das erste Buch, in dem ich in vollem Bewußtsein dessen, was ich tat, versuchte, das Politische und das Künstlerische zu einem Ganzen zu verschmelzen. Seit
    sieben Jahren habe ich kein Buch mehr geschrieben, aber ich hoffe, es bald wieder zu tun. Es wird bestimmt ein Mißerfolg, jedes Buch ist ein Mißerfolg. Aber ich bin mir ziemlich klar darüber, was für ein Buch ich schreiben möchte.
    Beim Durchlesen der letzten ein oder zwei Seiten fällt mir auf, daß sie den Eindruck hervorrufen könnten, die Gründe
    meines Schreibens seien ausschließlich gesellschaftlicher Natur.
    Ich möchte nicht, daß das der letzte Eindruck des Lesers ist. Alle Schriftsteller sind eitel, egozentrisch und faul, und der tiefste Grund ihres Schaffens liegt in geheimnisvollem Dunkel. Ein Buch zu schreiben ist ein grausamer, aufreibender Kampf, wie eine lange schmerzhafte Krankheit. Man würde es auch niemals tun, wenn man nicht von einem Dämon getrieben würde, der
    stärker ist als man selbst und einem unverständlich bleibt. Man weiß nur, daß dieser Dämon identisch ist mit dem Instinkt eines Babys, das durch Schreien die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.
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    Aber ebenso wahr ist, daß man nichts Lesbares schreiben
    kann, wenn man nicht fortgesetzt gegen seine eigene
    Persönlichkeit kämpft. Gute Prosa ist wie eine Fensterscheibe.
    Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, welcher meiner Gründe am stärksten ist, dagegen weiß ich genau, welchem zu folgen sich lohnt. Bei einem Rückblick auf mein Werk stelle ich fest, daß meine Bücher immer dann leblos geworden sind, wenn ihnen
    eine politische Absicht fehlte und ich mich in gedrechselte Passagen, nichtssagende Sentenzen, schmückende Beiworte und ganz allgemein in Geschwafel verlor.
    Gangrel No. 4, Sommer 1946
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    Einen Mann hängen
    Es war in Burma an einem trüben Tag in der Regenzeit. Ein mattes Licht, gelb wie Stanniol, fiel schräg über die hohen Mauern in den Gefängnishof. Wir warteten vor den Todeszellen, einer Reihe von Verschlagen, an der Vorderseite mit doppelten Eisengittern abgeschlossen wie kleine Tierkäfige. Sie maßen etwa zehn Fuß im Geviert und enthielten nichts außer einer Pritsche und einem Krug mit Trinkwasser. In einigen hockten braunhäutige stumme Gestalten am Gitter, das weiße Bettuch um ihren Körper geschlungen. Es waren die zum Tode
    Verurteilten, die in ein oder zwei Wochen gehängt werden
    sollten.
    Einen von ihnen hatte man aus seiner Zelle herausgeführt. Es war ein Hindu, ein kleiner, schmächtiger Mann mit rasiertem Schädel und wäßrig verschwimmenden Augen. Er hatte
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