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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein
Autoren: Andrea Vanoni
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wenn sie an die Tote dachte, die wie sie auf ihrer Parkbank gesessen hatte.
    Heute Morgen hatte sie sich noch über ihre erste Leiche gefreut, doch inzwischen sah sie die Sache nicht mehr rosig. »Möchte er mich da auch so steif erstarrt auf der Bank sitzen sehen?«, fragte sie grimmig in den Spiegel.
    Ihr Blick fiel auf das Familienfoto, das sie hinter den Spiegel gesteckt hatte. Bei dem Gedanken, sie vielleicht nie mehr wiederzusehen, wurde ihr leicht schwindelig, sie stützte sich an der Wand ab, fühlte sich schlapp, setzte sich auf den Toilettendeckel und dachte daran, dass sie gleich Paula abholen musste. Daher raffte sie sich auf, fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, spülte sich am Waschbecken den Mund aus, befeuchtete ein Handtuch und kühlte ihr Gesicht damit. Nur nicht weich werden, dachte sie, du siehst nur einen Spuk. Und wenn es kein Spuk ist, dann brauchst du deine Energie. Und deine Entschiedenheit.
    Sie wollte sich etwas anderes anziehen und überlegte, was. Sie trug Jeans und eine lange bunte Kette über der taillierten weißen Bluse. Weil sie stolz auf ihre Figur war, trug sie gern eng anliegende Kleidung. Sie hatte kein Gramm Fett zu viel. Als Teenie wäre sie gern Model geworden, aber zu der Zeit war ihr Busen schon zu groß. Models mussten androgyn sein. Sie entschied sich für ihr dunkelblaues Kostüm mit der taillierten Jacke.
    Während sie ihre Mails checkte und Tee trank, dachte sie an Vilmas Peiniger. Er stammte aus Westfalen und wirkte freundlich und ausgeglichen. Niemals hätte man einen so brutalen Menschen hinter dieser Maske vermutet. Sie würde nachfragen, wann er entlassen worden war.
    Sie starrte aus dem Fenster. Durch die schon gelblich gefärbten Baumkronen fielen Sonnenstrahlen ins Zimmer, und Chris bemerkte, wie trübe die Fensterscheiben waren. Sie würde keinen Fensterputzer bestellen, würde jetzt keinen fremden Mann in die Wohnung lassen.
    Sie ging auf den Balkon und atmete tief ein. Mittags roch es noch nach Sommer. Vom Sportplatz klang das Geschrei der Jungs herüber, die Fußball spielten. Als Schülerin hatte sie auch Fußball gespielt, und sie spürte Sehnsucht nach ihrer Kindheit. Wie gerne wäre sie jetzt auf dem Platz drüben und würde dem Ball hinterherrennen.
    Aber ihre Kindheit war weit weg - ihre Zukunft im Moment auch. Sie musste sich auf die Situation einlassen und diesen übergeschnappten Killer hinter Gitter bringen. Irgendwann würde alles vorbei sein, und sie würde darüber lächeln, wie auch über die anderen Schwierigkeiten, die sie in ihrem Leben überwunden hatte.

7
    Pünktlich um 14.07 Uhr fuhr der Zug in den Haupt-Hauptbahnhof ein. Paula wartete, bis er hielt, und drückte auf den grünen Türöffner. Sie dachte daran, heute Abend nach Usedom zurückzufahren, wenn sie sich einen Überblick verschafft und dem Team Anweisungen gegeben hatte. Für Ralf war dieser Urlaub das Nacherleben einer Kindheit, wie er sie sich immer gewünscht hatte: im Sand buddeln und eine Burg bauen, ausgedehnte Wanderungen am Strand machen und sich im Strandkorb ein gruseliges Märchen vorlesen lassen. Abends an der Bar hatten sie dieses grässliche Gemisch aus Himbeersaft und Wodka getrunken, den Leningrader, der sie dazu brachte, über die albernsten Dinge zu lachen. Im Bett hatte er sich dann angeschmiegt, was er »sich mit ihr einwickeln« nannte. Paula stellte sich vor, wie Ralf jetzt in ihrem Strandkorb saß und Skizzen machte, die seine Enttäuschung über ihre abrupte Abreise widerspiegelten.
    Die Tür öffnete sich, und Paula konzentrierte sich auf das, was vor ihr lag.
    Ein kräftiger Mann wollte ihren Koffer aus dem Zug heben, aber sie war schneller und dankte ihm lächelnd.
    Während sie Ausschau nach Chris hielt, zog sie den Koffer hinter sich her. Dann fuhr sie mit der Rolltreppe in die Haupthalle hinunter. Chris kam ihr winkend entgegen.
    Sie trug ein schickes Kostüm, so etwas wie Jil Sander, und dazu eng anliegende Sommerstiefel. Ein bisschen überzogen, dachte Paula, jedenfalls für eine Staatsanwältin bei Eins Kap . Aber sie sah fabelhaft aus, das edle Schwarzblau des Kostüms ließ ihr blondes Haar heller leuchten. Und sie war sehr schlank. Nach dem guten Essen im Urlaub und mit noch ein paar Pfunden mehr fiel es Paula besonders auf. Am liebsten hätte sie Chris gleich etwas abgegeben; sie konnte es vertragen. Die Welt war ungerecht, stöhnte Paula innerlich.
    Chris erkannte Paula schon an ihrer Haltung auf der Rolltreppe - typisch, wie sie die
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