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Im Herzen der Zorn (German Edition)

Im Herzen der Zorn (German Edition)

Titel: Im Herzen der Zorn (German Edition)
Autoren: Elisabeth Miles
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in alle Richtungen, doch das Lachen kam scheinbar von nirgendwo und überall zugleich. Sie wich zurück, bewegte sich zuerst langsam rückwärts, dann immer schneller und schneller. Sie drehte sich um, ließ die Flagge liegen. Atmete keuchend in die Abendluft. Sie lief auf das Tor des Parks zu und wagte nicht, hinter sich zu blicken.
    Plötzlich, kurz bevor sie den Maschendrahtzaun, der an den Park grenzte, erreichte, fiel lautlos ein spitzer Eiszapfen vom Himmel. Em schrie auf, als er, scharf wie eine Messerspitze, ihren Arm anritzte. Und plötzlich regnete es Eiszapfen auf sie herab, spitz und tödlich. Ohne den geringsten Laut, bis auf ein leises Tschschsch.
    Sie rannte die Straße entlang, stolperte jedoch über einen Ast, landete auf allen vieren und schlitterte über das Eis. Sie hörte ihre Jeans reißen und spürte, wie sich kleine Schmutz- und Salzpartikel in ihr Knie bohrten. Ihre Tasche rutschte ihr von der Schulter. Und die ganze Zeit war da dieses Lachen, flirrend und hüpfend, wie Licht auf einem See. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie waren da. Sie konnte sie spüren.
    »Wagt es nicht, hierher zurückzukommen!«, rief sie, während sie sich zitternd wieder aufrappelte. »Ich habe nichts gesagt! Ich habe mein Versprechen gehalten!« Sie schnappte sich ihre Tasche und sammelte hektisch die Sachen zusammen, die bei ihrem Sturz herausgefallen waren. Sie wusste, wie panisch sie aussehen musste, während sie da auf der dunklen Straße nach ihrem Handy, ihrer Puderdose und ihren Schlüsseln tastete. Das machte sie noch wütender. »Ich habe genug bezahlt!«, schrie sie in die Nachtluft.
    Sie stolperte die letzten Meter bis zu ihrer Einfahrt und dann keuchend durch die Haustür, die sie fest hinter sich zuschlug. Erst im Haus, in sicherer Entfernung von Mond und Schnee und den Zweigen der Bäume, die nach ihr zu greifen schienen, ließ das schallende Gelächter nach.
    Em schleppte sich nach oben. Dieses Mal habe ich nichts Unrechtes getan, sagte sie sich selbst. Mir kann nichts passieren. Doch irgendwie fühlte sie sich nicht beruhigt. Das war eine Warnung. Sie legte sich die kalten Hände aufs Gesicht und versuchte, das Brennen ihrer Wangen zu lindern. Entweder die Flagge oder der Wind hatten ihre Haut ganz wund gepeitscht.

Kapitel 2
    In dem verstaubten Türmchen des alten viktorianischen Hauses ihrer Tante Nora war Skylar McVoy gerade dabei, ihre letzten Sachen aus einer lila Reisetasche zu packen. Sie steckte das Ladegerät ihres iPods in die Steckdose, arrangierte eine kleine Sammlung Nagellack auf der wackeligen Kommode in der Ecke und drapierte anschließend ein paar Schals über den Spiegelrahmen. Sie musterte das Zimmer – die hölzernen Dielen, das Erkerfenster mit Blick auf die Straße, das große Bett mit dem geschwungenen Metallrahmen. Ihr neues Zuhause. Es würde eine Weile dauern, sich daran zu gewöhnen. Es war so … typisch Neuengland, hölzern, derb und kalt. Kein Vergleich mit ihrer alten Wohnung in Alabama, wo der Teppichboden und die billigen Kunststoffmöbel scheinbar vor Wärme gestrahlt hatten. Sie zitterte, klemmte sich ihr schulterlanges blondes Haar hinter die Ohren und zog sich die Kapuze ihres Sweatshirts über den Kopf. Vielleicht würde sie Nora um einen kleinen Heizofen bitten.
    Wie aufs Stichwort klopfte es in diesem Moment an die Zimmertür.
    »Herein«, sagte sie und wunderte sich, wie sehr ihre Tante ihre Privatsphäre respektierte. Weder für ihre Mom noch für Lucy hatte es so etwas wie Anklopfen oder Grenzen gegeben.
    »Na, fühlst du dich schon ein bisschen heimisch?« Nora warf einen Blick auf die Schals, die Palette von Skylars Schuhen am Fußende des Bettes und die leeren Koffer, die darauf warteten, im Schrank verstaut zu werden. Skylar war wieder einmal verblüfft, wie wenig Ähnlichkeit Nora mit ihrer Mom hatte. Während diese mager, knochig und blond gefärbt war, war Nora weich und rundlich und hatte wellige, von ein paar grauen Strähnen durchzogene Haare. Und sie roch nach Pflanzen. Auf angenehme Art. »Hast du in der Kommode genug Platz für deine Sachen? Ich hab dir die warme Bettwäsche aufgezogen – hier oben kann es ganz schön frisch werden.«
    »Alles bestens, Tante Nora«, antwortete Skylar und lächelte. »Danke.«
    Noch in derselben Nacht, in der ihre Mom im Gefängnis landete, weil sie zum dritten Mal betrunken Auto gefahren war, hatte Nora Skylar das Flugticket gekauft. »Den Rest des Schuljahres verbringst du hier«, hatte ihre Tante an jenem
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