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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Autoren: Carol Grayson
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pumpte. Wie würde es wohl sein, diese Makellosigkeit für die Ewigkeit zu erhalten? Julien seufzte fast unhörbar vor Verlangen. Er wusste, dass sein Vorhaben die Unschuld des Jungen verderben würde. Gleichzeitig war er stolz darauf, solche Fähigkeiten zu besitzen. Er würde seinen neuen Schützling sorgfältig auf sein neues Dasein und seine Aufgaben bei Hofe vorzubereiten. Julien lauschte in die Nacht hinaus, während er seinen Gedanken nachhing. Eines der Pferde prustete. Weit entfernt erklang das Heulen eines Hofhundes. In weniger als einer Stunde würden sie an ihrem Ziel eintreffen.
     
    Am nächsten Morgen erwachte Marcel in einem Bett aus frisch gestärktem Leinen. Der penetrante Geruch von Lavendel haftete an der Wäsche. Eine Zofe zog gerade die schweren Samtvorhänge von den riesigen Flügelfenstern zurück, so dass helles Sonnenlicht mit Macht hindurch brach. Marcel kniff die Augen zusammen.
    Die Kammerfrau wünschte einen „Guten Morgen, Monsieur“, knickste artig und verließ das Zimmer. Marcel blickte sich um. Ein Frühstück stand bereits auf einem Tablett neben dem Bett und der Duft von frischem Kaffee und warmen Croissants verlockte zum Aufstehen. Während er sich die Leckereien schmecken ließ, kam die Erinnerung langsam zurück.
    „Ich muss auf diesem Schloss sein, von dem der Mann in der Schenke gesprochen hat“, dachte Marcel.
    Die prachtvolle Ausstattung des Zimmers sprach ebenfalls dafür. Ein Blick aus dem Fenster zeigte einen ebenso prachtvollen Garten, in dem gerade zwei Gärtnergesellen die Rosenbeete stutzten. Auf dem Stuhl vor seinem Bett fand er sogar frische Kleidung vor. Nachdem er diese angezogen vor dem mannshohen, vergoldeten Spiegel bewunderte, kam er sich wie ein verwunschener Märchenprinz vor. Sorgfältig band er die halblangen Haare im Nacken zusammen. Die glatte Stirn und die hohen Wangenknochen traten dadurch noch deutlicher hervor. Er strich sich über das Kinn. Immer noch keine Bartstoppeln. Er war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen oder sich bedauern sollte. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass dies an seinem Mischlingsblut liegen würde. Auf der Anrichte stand ein Porzellankopf, auf dem eine dieser weiß gepuderten Perücken lag, die Marcel so sehr hasste. Hoffentlich verlangte dieser Montespan nicht, dass er so etwas tragen sollte. Einmal hatte er sich so ein Ding aufgesetzt und es sofort wieder herunter gerissen. Er hatte dabei das Gefühl gehabt, einen Teppich auf dem Kopf zu tragen. Außerdem bildete die weiße Perücke einen abstoßenden Kontrast zu seiner leicht getönten Hautfarbe.
    Es klopfte. Es war erneut die Zofe.
    „Der Marquis lässt Euch in die Bibliothek bitten.“
    „Sagt ihm, ich komme sofort“, gab Marcel zur Antwort.
    Dann fiel ihm ein, dass er sich ja hier nicht auskannte.
    Er fügte schnell hinzu: „Wartet! Besser, Ihr bringt mich zu ihm.“
    Es sah ganz so aus, als würde das Schicksal seiner Karriere endlich auf die Sprünge helfen. Noch einmal warf er einen letzten Blick in den Spiegel, dann folgte er der Dienerin durch lange Gänge, eine geschnitzte Freitreppe hinunter bis ins Erdgeschoss, wo die Bibliothek direkt an die große Empfangshalle anschloss. Zu Marcels Verwunderung war der gesamte Raum abgedunkelt. Die bordeauxroten Samtvorhänge ließen kein Licht von draußen hinein. Die dunkle Wandtäfelung wirkte erdrückend, obwohl der Raum mit Kerzen hell erleuchtet war.
    Der Marquis saß in einem der kostbaren Sessel und erhob sich bei seinem Eintritt.
    „Mein junger Freund. Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen?“
    Er klopfte Marcel auf die Schulter und geleitete ihn zu einem Sitzplatz.
    Der junge Mann lächelte und dankte höflich. Er war beeindruckt von der Größe und Ausstattung des Raumes, der jeder Universität zur Ehre gereicht hätte. Bücher aller Sprachen, Themen und Größe stapelten sich den Regalen. Amüsiert betrachtete Julien den Jungen.
    „Ich gehe davon aus, dass Euer Vater auch eine Bibliothek besaß?“, fragte er fast spöttisch.
    „Oh ja, aber nicht … so eine“, antwortete Marcel staunend.
    „Nun, sie steht Euch zur Verfügung, ebenso wie alles andere in meinem Hause. Allerdings gehe ich im Sommer nicht vor dem Sonnenuntergang aus dem Haus. Ich vertrage die Sonne nicht. Ein lästiges Andenken an eine meiner vielen Reisen.“
    „Oh“, entgegnete Marcel erneut.
    Der Marquis lachte auf.
    „Besteht Euer ganzer Wortschatz aus diesem einen Wort?“
    Jetzt musste auch Marcel lachen.
    „Vergebt mir,
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