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Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Richard Hagen
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Moment vergessen, in dem sie diesem hochgelobten Kopf das erste Mal gegenüberstand.
    Elli Falkenstein war gut einen Kopf kleiner, als die Staatsanwältin auch ohne Stöckelschuhe war, etwa im gleichen Alter wie sie, aber leicht untersetzt, und ihre kleinen, nervösen Augen schauten von unter permanent flatternden Lidern und dichten, ungezupften Brauen hervor überall hin, nur nicht in die Augen ihres Gegenübers. Sie trug das schwarze Haar in einem unmodischen, aber wohl praktischen Pagenschnitt, der ein wenig an die frühe Mireille Mathieu erinnerte. Inga Jäger fiel sofort auf, dass sie, kaum spürbar, aber in einem gleichbleibenden Rhythmus, von vorne nach hinten wankte und dabei mit nach unten ausgestreckten Armen und zu Fäusten geballten Händen kleine kreisförmige Bewegungen ausführte– wie um die Balance zu halten.
    » Freut mich, freut mich«, sagte die Kriminaltechnikerin mit merkwürdig hoher Stimme, den unruhigen Blick auf Inga Jägers Schuhe gerichtet. » Eine Staatsanwältin hier in unseren heiligen Hallen. Auch noch eine Oberstaatsanwältin… Na, das ist doch mal was Neues. Was Neues ist das. Ganz bestimmt. Bestimmt. Sie sind zu früh. Viel zu früh. Aber das sind sie immer. Zu früh.«
    Im ersten Moment wusste Inga Jäger nicht, wie sie den grammatikalisch verdrehten und seltsam roboterhaft getakteten Wortschwall der kleinen Frau einordnen sollte, aber als Elli Falkenstein dann den Kopf schräg legte und das Kinn gegen die Brust presste, um sie mit fahrigem Blick ganz kurz zu fokussieren, ehe sie ihn wieder frei über den Boden schweifen ließ, hatte sie einen Verdacht… und war zum zweiten Mal an diesem Tag wütend auf Gebert. Er hätte sie vorwarnen können.
    » Wir kommen wieder, wenn Sie etwas für uns haben«, schlug sie einfühlsam vor. » Rufen Sie uns einfach an.«
    » Gut«, sagte die Technikerin. » Sehr gut. Das mache ich. Genau das. Ja, Sie anrufen, wenn ich etwas für Sie habe. Scheiße, das ist eine gute Idee. So sollten wir das hier immer handhaben. Auf Wiedersehen.« Damit drehte sie sich um und watschelte davon. » Ich rufe Sie an. Mit dem Telefon. Ich habe ja Ihre Nummer. Bestimmt habe ich die. Oder ich rufe bei der Zentrale an. Die stellen mich dann schon durch. Zu Ihnen, meine ich. Ja, auf Wiedersehen.«
    » Unsinn«, knurrte Gebert ungeduldig, und Elli Falkenstein blieb wie angewurzelt stehen, so als hätte er die Stopp-Taste einer Fernbedienung gedrückt. » Du hast jetzt schon was für uns, Elli. Ich kann es dir an der Nasenspitze ansehen. Also, raus damit.«
    Überrascht über Geberts barsch-freundlichen Ton und Elli Falkensteins Reaktion darauf und zugleich fasziniert beobachtete Inga Jäger, wie die kleine Frau so lange von hinten nach vorn und wieder zurück kippelte, bis sie auf diese Weise eine komplette halbe Drehung gemacht hatte, ohne überhaupt nur ein Bein vom Boden gehoben zu haben, und sie jetzt wieder ansah– oder vielmehr die Spitzen ihrer Schuhe. Ein bisschen wirkte die Laborleiterin dabei wie ein zu großgeratener Kaiserpinguin bei der Balz.
    » Nichts Vollständiges«, sagte sie. » Nichts Endgültiges oder wirklich Aufschlussreiches. Wie auch in der kurzen Zeit? Ich bin Wissenschaftlerin, kein Rennpferd. Ihr kommt immer zu früh. Immer zu früh.«
    » Weißt du, wenn ich bei dir erst jedes Mal auf Vollständig warten würde, Elli, wär ich längst in Pension auf Malle, ehe du mich auch nur ein einziges Mal anrufst«, sagte Gebert und verdrehte dabei die eisblauen Augen. » Ich bin schon mit Teilergebnissen zufrieden. Mein ganzer verdammter Job besteht aus nichts anderem als Teilergebnissen.«
    » Teilergebnisse sind verdammt noch mal keine Ergebnisse«, gab Elli Falkenstein trotzig zurück. » Teilergebnisse sind Teile. Deswegen nennt man sie so. Teile sind Dreck.«
    » Gib sie mir trotzdem.«
    » Noch nicht.«
    » Elli!«
    » Also gut«, sagte Elli und verzog das kleine Gesicht zu einer unwirschen Grimasse. Sie wischte sich die Handflächen an den Seiten ihres Kittels ab, schaukelte sich dann wieder mit ausgestreckten Armen herum und watschelte in Richtung einer weiteren Tür. » Kommt mit«, rief sie. » Aber beschwert euch nicht, wenn es nicht ausreicht. Wozu bezahlt ihr überhaupt eine Technikerin, wenn ihr doch bloß Puzzle spielen wollt?«
    Ohne auf die beiden zu warten, verließ sie den Raum.
    Gebert wollte ihr folgen, aber Inga Jäger blieb stehen und hielt ihn am Arm fest.
    » Sie hätten mir sagen können, dass sie unter dem Asperger-Syndrom
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