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Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Richard Hagen
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Ich sagte Stopp!«
    Noch immer reagierte niemand auf ihren direkten Befehl, aber immerhin sahen nun einige der Beamten und Beamtinnen neugierig geworden zu ihr hinüber. Erst jetzt und damit rund neunzig Sekunden zu spät merkte Inga Jäger, dass sie in ihrem Ärger völlig vergessen hatte, im Wagen noch schnell die Schuhe zu wechseln, und so balancierte sie nun, so gut es eben ging, auf den hohen Absätzen zwischen klebrigen Lehmbrocken und feuchtem Weinlaub.
    Nicht auszudenken, wenn sie ausgerechnet jetzt stolperte oder ausrutschte.
    » Wer von Ihnen ist Kriminalhauptkommissar Gebert?«, fragte sie mit so viel Autorität, wie sie in ihrer Wut und der Konzentration darauf, nicht hinzufallen, aufbringen konnte.
    Keine Antwort.
    » Ich fragte, wer von Ihnen…«
    » Ich«, antwortete eine tiefe, leicht raue Stimme sie unterbrechend von zwischen den Weinbergzeilen zu ihrer Linken. Nur ein einziges Wort, aber es klang verdammt ungehalten.
    Inga Jäger blieb stehen und wartete einen Moment darauf, dass Gebert hervorkam, um auch ohne Worte klarzustellen, dass nicht sie zu ihm zu kommen hatte, sondern umgekehrt er zu ihr. Als er jedoch nach weiteren zwanzig Sekunden immer noch nicht erschienen war, wurde sie noch wütender.
    » Ich bin Oberstaatsanwältin Inga Jäger!«, rief sie über das dichte Laub hinweg. » Ich hatte Sie über meine Sekretärin, Frau Wiedemann, anweisen lassen, den Fundort der Leiche bis zu meiner Ankunft unberührt zu lassen.«
    Plötzlich wurde um sie herum alles still, und während eben noch kein Mensch auf sie gehört hatte, stoppten die Männer und Frauen jetzt alle in dem, was sie gerade taten, und starrten sie aus großen Augen heraus ungläubig an. Mit einem Mal lag eine äußerst unangenehme, fast körperlich greifbare Spannung in der Luft.
    Für etwa eine halbe Minute, die sich für Inga Jäger wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, geschah gar nichts, und sie spürte, wie sie rot wurde. So hatte sie sich ihren ersten Auftritt bei den neuen Kollegen der Polizei ganz gewiss nicht vorgestellt, und sie ärgerte sich über ihre Impulsivität fast noch mehr als darüber, dass man ihre Anweisung ignoriert hatte. War das ein Anzeichen dafür, dass sie den Dienst nach den Ereignissen in Hamburg zu schnell wieder aufgenommen hatte? Früher wäre sie geschickter mit einer solchen Situation umgegangen. Viel geschickter… und auf jeden Fall souveräner.
    Egal– sie hatte die Machtkarte im Affekt gezogen, jetzt musste sie sie auch spielen… und hoffen, dass sie trumpfte.
    » Ich warte noch immer auf eine Antwort.«
    Aber statt einer Antwort kam nur ein Räuspern. Es hatte eine warnende Note.
    Durch die Gruppe der anwesenden Beamten ging ein leises Raunen. Dann aber hörte Inga Jäger endlich schwere Schritte die Zeile nach oben kommen und fühlte, dass unter den Zuschauern des unbeabsichtigten Spektakels die Spannung weiter stieg. Mehr noch, die beiden Kollegen von der Rechtsmedizin, die den Leichensack inzwischen in den Transporter gelegt hatten, sahen sie regelrecht mitleidsvoll an.
    Von zwischen den übermannshohen Zeilen hervor trat der wohl grobschlächtigste Mann, den Inga Jäger jemals gesehen hatte. Und das wollte nach ihrer Zeit bei der für die Reeperbahn zuständigen Sitte schon etwas heißen.
    Kriminalhauptkommissar Gebert war Mitte, vielleicht Ende vierzig und ein Kerl wie ein Berg. Gut über eins achtzig groß, bestimmt hundertzwanzig Kilo, von denen der Dynamik seiner Bewegungen nach zu urteilen bei weitem nicht alle Fett waren. Glatze, rötlich grauer Kinnbart und Hände wie Baggerschaufeln. Das wohl am meisten Außergewöhnliche an ihm waren jedoch seine Augen. Sie waren hellblau… und eiskalt.
    Diese Augen suchten jetzt nach ihr, und als sie sie gefunden hatten, kam er mit wie zum Angriff gesenktem Kopf, aber langsamen Schritten auf sie zu.
    Inga Jäger fühlte sich an die Drohgebärde eines Neandertalers erinnert und musste sich zwingen, über dieses primitive Machogehabe nicht laut zu lachen.
    » Kriminalhauptkommissar Gebert?«, fragte sie mit strenger Höflichkeit und achtete penibel darauf, gerade und aufrecht zu stehen; auch wenn ihr bewusst war, dass sie ihm selbst mit den hohen Absätzen ihrer Schuhe bei eins dreiundsechzig Körpergröße gerade mal bis zur fassbreiten Brust reichte.
    » Gehen wir ein paar Schritte«, sagte er, als er sie erreicht hatte. Seine Baritonstimme klang wie die eines Bären, den man gerade aus seinem Winterschlaf geweckt hatte. Sich kurz zu seinen
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