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Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Richard Hagen
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gut gelaunte und hart arbeitende Erntehelfer mit Bottichen, die fünfzehn bis zwanzig Liter fassen konnten, stets scharf gehaltenen Traubenscheren zum Abschneiden der Stiele und schlammbeschwerte Gummistiefel, in denen man immer kalte Füße bekam, ganz egal, wie viele Socken man darunter anzog. Zwei Buttenträger, die die Zeilen mit schweren Schritten abstapften, um den Inhalt der vollen Bottiche in den Butten, die sie auf ihren breiten Rücken trugen, einzusammeln, und zwei kurze, aber gesellige Pausen am Tag mit Glühwein, Trestern- oder Hefeschnaps und über dem mitgebrachten gusseisernen Stövchen gekochte Erbsensuppe mit geräucherten Speckwürfelchen und frischen Frankfurter Knackern.
    Doch seit der Erfindung des verdammten Traubenvollernters gehörte all das inzwischen längst der Vergangenheit an– die ganze Romantik war beim Teufel und damit auch der Wein als Produkt zu einem leblosen Industriegut degeneriert; wie Bier aus einer Großbrauerei, das einfach nicht mehr besonders schmeckte und das Claus-Josef Frohmann nur noch wegen seiner Wirkung trank.
    Der Traubenvollernter war im Grunde genommen ein riesiges, über dreieinhalb Meter hohes und auf den Kopf gestelltes U auf vier dicken Traktorrädern, mit dem man die einzelnen Zeilen entlangfuhr. In den beiden senkrechten Streben waren gepolsterte Stäbe angebracht, die gegen die Zeilen schlugen und damit die Beeren von Stielen und Stängeln lösten, sodass sie auf die zwei Förderbänder links und rechts fielen. Die beförderten die Trauben dann nach hinten in den Tank, der bis zu tausend Liter fassen konnte und, wenn er voll war, ausgetauscht wurde.
    Frohmann, der ganz oben in einer Kabine auf dem U saß und nicht sehen konnte, was genau vor ihm lag, würde den Weinberg, für den früher zwanzig Leser einen ganzen Tag gebraucht hätten, in etwa einer Stunde abgeerntet haben.
    Er kam am oberen Ende der ersten Zeile an und wendete das schwerfällige Gefährt auf dem asphaltierten Weg über die nächste Zeile, die er jetzt von oben nach unten abernten würde. Der Blick ins Tal war selbst noch nach all den Jahren ein atemberaubender. Unter ihm lagen auf seiner Seite des in der aufgehenden Sonne jetzt allmählich golden zu glitzern beginnenden Rheins Erbach und Hattenheim, links davon, im Osten, Eltville mit seiner durch die Burg unverwechselbaren Kulisse. Noch weiter links dann Wiesbaden und Mainz. Im Rhein selbst die lang gestreckte Mariannenaue und die Eltviller Aue und jenseits davon, auf der Pfälzer Seite, der Ähbsch Seid, wie man hierzulande sagte, Heidesheim und Mainz-Gonsenheim.
    Die Sensoren des Ernters fanden den Anfang der Zeile, Frohmann justierte die Maschine, legte den niedrigsten Gang ein, um das Maschinengetriebe die steile Abfahrt bremsen zu lassen, und fuhr los. Der neben seiner Kabine nach oben führende Auspuff röhrte dabei so laut, dass auch seine Ohrenschützer kaum noch halfen und er von der Musik, die in den Kopfhörern lief, nicht viel hörte.
    Plötzlich ruckte die Maschine und hielt an.
    Vermutlich ein vom gestrigen Regen zusammengepappter Lehmbrocken. Frohmann aktivierte das Differential und gab Gas. Der Motor heulte noch lauter auf, und einer der großen Reifen drehte mahlend durch. Es war der vorne links. Die anderen drei übernahmen die Arbeit, brachten die Maschine ein Stück weiter nach vorn, und dann griff auch der, der ausgesetzt hatte, endlich wieder.
    Zu seiner großen Verwunderung spürte Frohmann, wie die hohe Maschine in der Vorwärtsbewegung leicht ins Wanken geriet. Das passierte bei einem Gerät dieses Gewichtes eigentlich nur, wenn sie über einen Felsen fuhr– und Felsen gab es hier in den Weinbergen keine, dessen war er, nach all den Jahren, die er jetzt hier arbeitete, vollkommen sicher. Und ein Lehmbrocken wäre, so nass, wie es heute war, unter dem Gewicht des Vollernters zerquetscht worden, ohne ihn zum Wackeln zu bringen.
    Frohmann zog eilig die Bremsen an und öffnete die Fahrerkabine. Er wollte nicht riskieren, auch noch mit dem Hinterrad darüberzufahren, ohne sich vorher vergewissert zu haben, was es war. Der Vollernter wog zwar Tonnen, hatte aber einen so hohen Schwerpunkt, dass die Gefahr, dass er bei zu großer Verlagerung der Balance umstürzte, nicht zu unterschätzen war.
    Er kletterte die Leiter nach unten und sprang zu Boden. Sein eigenes Gewicht ließ die Sohlen seiner grünen Gummistiefel tief in die noch feuchte Erde einsinken.
    Zuerst sah er unter den Weinblättern, die der Herbst und der
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