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Ihr Kriegt Mich Nicht!

Ihr Kriegt Mich Nicht!

Titel: Ihr Kriegt Mich Nicht!
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still, doch der saure Geruch nach Rotwein stieg ihm in die Nase. Papa lag auf dem Küchenboden, er war vom Stuhl gefallen und hatte das Tischtuch und eine Weinflasche mitgezogen. Der Wein war in eine große rote Pfütze ausgelaufen. Mik schüttelte Papa. Nichts geschah. Papa sabberte. Die Wohnungstür schlug zu. Tony kam in die Küche.
    »O nein! Scheiße!«
    »Sollen wir ihn ins Bett bringen?«, fragte Mik. »Der Boden ist hart.«
    »Soll ich dir was sagen«, schrie Tony, »von mir aus kann er auf einem Nagelbrett liegen!«
    »Aber …«, wandte Mik ein.
    »Der ist am Ende! Da läuft nichts mehr. Jetzt ist die Kacke endgültig am Dampfen!«
    Tony tigerte in der Küche auf und ab. Riss die leeren Flaschen von der Spüle herunter. Mik wusste nicht, was er sagen sollte. Tony packte eine Flasche am Hals.
    »Ich sollte ihm den Schädel einschlagen!«
    Er schwang die Flasche durch die Luft. Versuchte sie an der Spüle zu zerschmettern. Doch sie blieb heil.
    Mik holte die Hockeyhandschuhe und stellte die Eieruhr.
    »Boxen wir?«
    »Du willst boxen?«
    »Ja. Das macht Spaß.«
    Tony durchwühlte den Kühlschrank und die Speisekammer.
    »Du willst also boxen. Und er liegt auf dem Boden. Versäuft die ganze Kohle. Wir haben nichts zu essen im Haus. Boxen. Du bist echt total durchgeknallt!«
    »Ich hab Schokolade, willst du welche? Ich hab ein paar Tafeln.«
    »Kapierst du denn nicht? Mensch, Miki, Kleiner, der Alte ist ein beschissener Säufer.«
    Tony weinte.
    »Wir können auch Monopoly spielen. Du kriegst die Schlossallee.«
    »Ich hau ab«, sagte Tony. »Ich geh bei Dennis pennen.«
    »Und ich? Was soll ich dann machen?«, fragte Mik. »So kann er doch nicht liegen bleiben.«
    »Scheiß drauf, wie’s ihm geht. Guck irgendwas im Fernsehen. Lass ihn liegen. Guck dir einen Film an, oder setz dich an meinen Computer. Ich verdufte.«
    Tony ging und schlug die Tür hinter sich zu.
    Es wurde still.
    Fernsehen.
    Allein.
    Allein in der Wohnung.
    Allein mit Papa.
    Das war mehr allein, als wenn man ganz allein war.
    Fernsehen.
    Die Einsamkeit brannte im Bauch. Die Einsamkeit war eine Schlange mit stachliger Haut, die sich mit scharfen, aufgerichteten Schuppen im Bauch wand. Mit scheuernden, raspelnden, schmerzenden Schuppen. Denk an was Gutes, denk an was Schönes! Denk an was richtig, richtig Gutes! Etwas Wichtiges und Gutes, hatte Lisa Nordahl gesagt. Wie was zum Beispiel? Konnte er jemanden anrufen? Wen? Und was sagte man dann? Konnte er Ploppy anrufen und fragen, ob er zu ihm kommen durfte?
    Mik rief Ploppy an.
    »Ihr habt doch Besuch?«, sagte Ploppy.
    »Die haben abgesagt.«
    »Dann kann ich ja zu dir kommen«, sagte Ploppy.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Wir sehn uns morgen.«
    »Okay, bis morgen!«
    Mik holte eine Wolldecke und breitete sie über Papa aus. Es sah aus, als wäre er gestürzt, aus großer Höhe abgestürzt. Seine Wange lag platt gegen den Boden gepresst. Mik holte eines derkleinen Sofakissen, hob den hilflosen Kopf seines Vaters an den Haaren hoch, schob das Kissen darunter und ließ den Kopf zurücksinken. Versuch an etwas Gutes und Wichtiges zu denken! Bring die Einsamkeitsschlange dazu, stillzuhalten und einzuschlafen!
    Mik sank auf den Küchenboden und lehnte sich an den Kühlschrank. Ein paar Magneten fielen herunter, und unbezahlte Rechnungen segelten auf den Boden. Langsam wickelte er eine Schokoladentafel aus. Es war ganz still, nur das Ticken der Eieruhr und das schwache Brummen des Kühlschranks waren zu hören. Ganz schwach der Fernseher der Nachbarn. Lauter tote Geräusche, einsame Geräusche. Irgendwo eine Klospülung. Mein Papa, dachte Mik und schaute an die Decke. Mein Papa fährt tagsüber einen Gabelstapler und spart auf ein Fahrrad mit einundzwanzig Gängen, das er mir kaufen will. Oder auf einen PC, der noch schneller ist als der von Ploppy und eine Grafikkarte hat, die so gut ist, dass die Spiele wie richtige Filme aussehen. Abends baut er mit mir Schiffsmodelle. Und wir gehen oft angeln. Aber bloß im Sommer, wenn es schön warm ist. Seine Angelrute hat eine rote Rolle. Meine eine silberne. Und rudern darf immer ich.
    Ja, so war das.
    Und heute Abend würden sie wahrscheinlich mit dem Modell des deutschen Kriegsschiffes Bismarck weitermachen. Nur noch die Schornsteine waren übrig und ein paar Kleinigkeiten, die Rettungsboote zum Beispiel. Die waren ganz schön knifflig.
    Mik steckte das letzte Stück Schokolade in den Mund. Es klingelte an der Tür. Der Ton ließ ihn vor Schreck
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