Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ihr Kriegt Mich Nicht!

Ihr Kriegt Mich Nicht!

Titel: Ihr Kriegt Mich Nicht!
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Kacheln des Beckenbodens liegen. Seine Haare wehten sachte hin und her wie dünnes Seegras, und weit oben sah er in einem schönen blauen Licht seltsam verzerrte Gestalten. Sie beugten sich über den Rand und schauten herab. Schaukelnde, gespenstische Gestalten. Unförmig.
    Und falls er sechs Minuten und drei Sekunden schaffte, wer würde es dann erfahren? Nicht einmal er selbst würde es ja erfahren. Wenn man ertrank, war der Rekord nichts wert. Der Druck in der Brust nahm zu, breitete sich im ganzen Körper aus. Ein kräftiges Rauschen stieg in den Ohren auf. Das Herzpumpte, pumpte, schneller, immer schneller. Sein Blut schrie nach Sauerstoff, er brannte und hörte Gesang. Jemand sang. Ein rauschender Gesang. Wo kam der her? Sein Gesichtsfeld schrumpfte, die Ränder färbten sich rot, und der Gesang schwoll an. Töne ohne Melodie. Steigend, sinkend. Wie wenn jemand weint. Seltsam war das, und es wurde noch seltsamer. Er sah seine Mutter. Ihr Gesicht wiegte sich hinter Wellen, nahm aber keine richtige Form an. Sie hielt einen grünen Schirm.
    Alles verschwand.
     
    Mik wachte am Beckenrand auf und hustete Chlorwasser. Sein Körper schmerzte, als würde er von tausend glühend heißen Nadeln gestochen. In Nase und Brust brannte es so heftig, als wäre sein Inneres nach außen umgestülpt. Sein Herz schlug schnell und hart.
    Iv hockte über Mik gebeugt. Seine Kleider waren durchnässt, seine Haare tropften. Die Trillerpfeife und die Stoppuhr baumelten über Miks Gesicht. Die Klasse stand in einem schweigenden Kreis um ihn herum. Er erbrach den Hackbraten, den es in der Schule zu Mittag gegeben hatte. Die Klassenkameraden wichen zurück.
    »Wie geht’s?«, fragte Iv und strich seine nassen Haare zurück. »Bist du einigermaßen in Ordnung?«
    Mik nickte.
    »Niemand hat mir gesagt, dass du untergehst. Ich hab Åsa in die Umkleide gebracht. Ihr ging es … nicht gut. Ich hatte keine Ahnung, bis Ploppy angerannt kam. Die glaubten alle, du machst bloß Spaß.«
    Mik nickte wieder.
    »Fühlst du dich wirklich wieder okay?«
    »Ja«, sagte Mik erschöpft. »Wie war meine Zeit?«
    Iv hielt die Stoppuhr hoch.
    »Die Uhr ist im Eimer, bei drei null fünf ist sie stehen geblieben. Wasser verträgt sie nicht.«
    »Drei null fünf!«
    »Geh rüber zum kleinen Becken«, sagte Iv. »Für heute bist du fertig.«
    Mik erhob sich auf schwachen Beinen und machte ein paar schwankende Schritte. Iv pfiff, und der nächste Schüler kraulte los. Mik ließ sich in das warme Wasser des Kinderbeckens gleiten.
    Drei null fünf.
DIE SCHLANGE EINSAMKEIT
    Der Weg vom Hallenbad nach Hause wurde lang. Mik ging langsam, er hatte Kopfschmerzen. Ihm war schlecht. Vor dem Tabakwarenladen blieb er stehen. Das Krokodil lag immer noch im Schaufenster, und die Sägespäne rieselten immer noch aus ihm heraus. Ein trauriger Anblick. Irgendwann war es vielleicht im Wasser des Nils geschwommen, hatte kleine Fische gejagt und war dann satt und zufrieden auf einen Sandstrand hinaufgekrochen, um sich am Fuß eines Pharaonentempels in der Sonne auszuruhen. Und jetzt lag es hinter einem schmutzigen Schaufenster im Råsundavägen in Solna und ließ Sägespäne aus sich herausrieseln. Damit hatte es bestimmt nie gerechnet.
    Die Tabaksfrau winkte ihm durchs Fenster, er solle reinkommen. Mik öffnete die Tür und stieg die vier Stufen nach unten. Seine Knie drohten nachzugeben.
    »Du siehst krank aus«, sagte sie. »Wie fühlst du dich?«
    »Wir haben Schwimmen gehabt. Das war anstrengend.«
    »Ich hab noch mehr Schokolade, die ich nicht verkaufen kann. Aber sie ist in keiner Weise irgendwie schlecht, die kannst du ruhig essen.«
    Sie reichte Mik ein paar Schokoladentafeln.
    »Danke.«
    »Wie geht’s deinem Vater?«
    »Ist erkältet.«
    »Aha.«
    Sie lächelte mit ihrem bleichen Gesicht. Und ihre grünen Augen durchbohrten ihn. Grüner Laser. Was wusste sie über seinen Vater?
    »Nichts ist vorausbestimmt«, sagte sie. »Es gibt immer eine Wahl, und du entscheidest.«
    »Ich? Nein, ich entscheide gar nichts. Ich weiß nicht mal, wer überhaupt entscheidet. Tengil vielleicht.«
    »Du existierst, also entscheidest du .«
    Er überlegte kurz, spürte aber nicht einmal, dass er existierte.
    Kunden betraten das Geschäft.
    »So, jetzt nimm die Schokolade und geh!«
    Mik zögerte ein paar Sekunden. Irgendwas hatte er noch fragen wollen, aber er hatte vergessen, was es war.
     
    Mik steckte den Schlüssel ins Schloss, aber die Tür war schon offen. In der Wohnung war es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher