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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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Angst mit Starre. Ich bin kein besonders emotionaler Charakter. Oder zumindest dachte ich, dass ich es nicht sei. Ich habe einfach abgewartet, dass die Kugel mich trifft. Und den Griff des Messers fest umklammert.«
    »Und warum haben Sie sich dann umgedreht und zugestochen?«
    »Da war irgendwas, ein Geräusch, ein Vibrieren der Luft. In der absoluten Stille der Angst meinte ich hinter mir etwas oder jemanden zu spüren. Die schlimmsten Dinge erwischen einen immer rücklings. Dann hörte ich den Knall, und ich drehte mich um. Eine Affekthandlung, eine Abwehrreaktion vor etwas Unsichtbaren. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich fand mich auf dem Boden wieder, der Körper der Frau auf mir drauf. Schwer und kräftig. Meine Hand umklammerte immer noch den Griff, das Messer steckte noch im Körper. Warmes, glitschiges Blut rann mir über die Hände. Es war nicht leicht gewesen, das Messer in das Fleisch zu stoßen. Man braucht Kraft dazu, und Kraft hatte ich. Nun lag sie auf mir. Irgendwie gelang es mir, sie von mir zu schieben. Ich zog die Klinge heraus. Ich blieb auf dem Rücken liegen, den Blick zum Himmel gerichtet. Vor die Wolken schob sich das Gesicht des Jägers Saverio. Ich habe nicht gleich begriffen, was passiert war, bis ich das Einschussloch des Projektils bemerkte. Er hatte sie erschossen. Der Schuss hatte ihr gegolten, nicht mir. Der Mann musste sie schon eine ganze Weile im Visier gehabt haben. Er muss sie hinter mir gesehen und im letzten Moment abgedrückt haben.«
    »Ihrer Ansicht nach hat dieser Mann also vorsätzlich auf die Frau gezielt und geschossen.«
    »Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ich dachte, er würde auf mich zielen, aber das stimmte nicht. Ich war überzeugt davon, er wollte mich töten. Mich, ganz allein.«
    »Und Sie haben nicht gespürt, dass Sie irgendwo angefasst wurden? An Ihrem Hals etwa, von jemandem hinter Ihnen? Oder irgendeine andere Berührung, die eine Notwehr rechtfertigen würde?«
    »Niemand hat mich angefasst oder angegriffen. In dem Moment fühlte ich mich allein von dem Gewehr bedroht. Umgedreht habe ich mich, weil ich etwas gehört habe. Ich weiß nicht, was. Ich habe etwas mir Fremdes wahrgenom men. Angst, vielleicht. Ich weiß nicht. Eine Woche zuvor hatte sich ja dieser Zwischenfall ereignet, wie ich bereits erwähnte. Jemand hatte mir einen Schlag auf den Kopf versetzt. Ich stand also noch unter dem Eindruck dieser Erinnerung, und vielleicht vermutete ich ja dieselbe Person wieder hinter mir. Anders kann ich es mir auch nicht erklären, eine Affekthandlung. Ich stand unter Stress. Da reagiert man nicht immer ganz so überlegt.«
    »Aber Sie sind doch Polizeibeamtin. Da müssten Sie doch eigentlich Stresssituationen gewohnt sein. Oder nicht?«
    »Selbstbeherrschung kann man trainieren, sie hält aber nicht für ewig vor. Man kann es auch wieder verlernen.«
    »Dann ist es also genauso möglich, dass Ihr Erinnerungsvermögen nicht ganz glaubhaft ist. Aufgrund der Stresssituation könnten Sie zum Beispiel die Gefahr falsch eingeschätzt haben, oder nicht?«
    Ich versuche mich zu verteidigen. Entschuldigungen, Alibis, Gründe zu finden. Aber Nagel folgt mir nicht: Er geht stur seinen Weg. Den einzigen, den er beschreiten will. Er versucht, meine Anhaltspunkte in Frage zu stellen. Meine wenigen Sicherheiten, mein Gedächtnis, meine Erinnerungen in Zweifel zu ziehen. Um so die Unanfechtbarkeit der einzig möglichen Verteidigungsstrategie zu beweisen. Einer Strategie, der er entschieden hat zu folgen und die da heißt: Notwehr.

15
    An was erinnere ich mich? Ich habe nicht gerade viel zu tun. Und viel Zeit, all das Revue passieren zu lassen, wofür nie genug Zeit da war. An was erinnere ich mich. Und welche Einzelheiten habe ich nicht behalten. Wie viel reale Erinnerung habe ich von den Dingen? Wie viel ist von den Gefühlen relativiert worden, durch die Zeit, durch meine Sichtweise? Ich denke, die Fakten sind ganz eindeutig. In meinem Kopf sind sie fest umrissen. Dann frage ich meine Mutter nach einem Kleid, das ich vor dreißig Jahren trug. Oder nach einem Spielzeug. Sie blickt mich an, lächelt und kramt in der Kiste mit den Fotos.
    »Da, siehst du? Ich hatte doch recht. Gelb, mit einer Schleife vorne dran.«
    Wieso aber ist es in meinem Kopf anders? Warum bleibt das Kleid rot? Ich erinnere mich noch gut daran. An eine intensive, kräftige Farbe. Noch einmal gehe ich die Tatsachen durch. Bild
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