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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama
Autoren: Wladimir Kaminer
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der Ball geht nach links … Hätte er nur damals in der Schule die richtige Entscheidung getroffen und sich für einen soliden Beruf entschieden, Schriftsteller zum Beispiel. Nun ist aber alles zu spät – der Ball geht nach rechts, dann wieder nach links, dann wieder nach rechts …
    Das alles habe ich aber den Kindern nicht erzählt, nur ein wenig in die Faust gehustet: »Ach, weißt du, Simon, Fußballer ist ein harter Job. Du musst ständig Tore schießen. Das kann auf Dauer anstrengend sein. Außerdem sind Fußballer so schnell aufgebraucht, und was dann?«
    »Na ja, dann kann ich ja immer noch Schriftsteller werden«, meinte der Junge, »aber warum nicht zuerst mal ein paar Tore schießen?«
    Wir tranken eine Runde Früchtetee und wünschten einander viel Glück. Auf dem Weg nach Hause überlegte ich, dass Simon eigentlich Recht hatte. Und wenn ich mich genau erinnerte, wollte ich in seinem Alter eigentlich nichts anderes als Scharfschütze werden. Einmal habe ich sogar mit anderen angehenden Scharfschützen aus meiner Klasse mit einem Luftgewehr auf eine Gipsbüste des Schriftstellers Maxim Gorki geschossen, so lange, bis ihm ein Ohr abfiel.
    »Aber diese Zeiten sind längst vorbei«, wie die dienstälteste Popsängerin der Sowjetunion Alla Pugatchowa einmal sang. Weiter heißt es bei ihr:
     
    »Wohin geht unsere Kindheit?
    Wie wird man plötzlich alt?
    Wer das herausfindet
Der schweigt und schweigt und schweigt …
    Sie geht auf leichten Füßen
Wenn alles schläft im Land
Und schreibt uns keine Briefe
Und ruft nicht mehr aaan …«

Sebastian und die Ausländerbehörde
    Seit einiger Zeit bekommt mein dreijähriger Sohn Briefe, die an ihn persönlich adressiert sind. Nicht irgendwelche Liebesbriefe von seinen Kita-Kumpeln, sondern offizielle Anschreiben von der Ausländerbehörde. »Sehr geehrter Herr Sebastian«, steht da, »seit beinahe drei Jahren befinden Sie sich illegal in Deutschland. Das geht so nicht, rufen Sie uns so schnell wie möglich an. Hochachtungsvoll, Spende.«
    Sebastian hat vor kurzem das Telefon als neues Spielzeug entdeckt und ruft nun dauernd alle möglichen Leute an, indem er wahllos auf die Tasten drückt. Er hat schnell gelernt, dass hinter jeder Zahlenkombination im Telefon eine lustige Stimme steckt. Dann hört er aufmerksam zu, doch viel zu erzählen hat er noch nicht. Er grunzt nur freundlich und legt nach einiger Zeit wieder auf. So ein Telefongespräch wäre für Herrn Spende ein schwacher Trost. Also nahm ich die Sache selbst in die Hand und telefonierte mit der Ausländerbehörde. Herr Spende erwies sich als eine Frau.
    »Sie wissen sicher, Herr Kammer, dass jedes Kind in Deutschland spätestens fünf Monate nach seiner Geburt einen Kinderpass beantragen muss. Ihr Kind ist nun aber schon drei Jahre alt und hat sich noch immer nicht bei uns gemeldet.«
    »Seien Sie nicht sauer, wir haben es einfach vergessen, weil er im Kindergarten noch nie nach dem Pass gefragt wurde, und mit der Polizei oder dem Grenzschutz hat Sebastian auch noch keinen Kontakt gehabt. Außerdem hatten wir sehr viel zu tun«, verteidigte ich mich.
    »Wollen Sie mich veräppeln? Denken Sie, wir spielen hier nur Spielchen?«, erwiderte Frau Spende wütend.
    »Nein, ganz bestimmt nicht. Ich fahre jetzt gleich zu Ihnen und beantrage für Sebastian einen Kinderpass«, versuchte ich die Frau zu beruhigen.
    »Sie werden aber keinen Kinderpass für Ihren Sohn bekommen, weil Sie und Ihre Frau keine deutschen Staatsbürger sind. Also gilt auch Ihr Sohn als Ausländer und muss zuerst eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen«, klärte mich Frau Spende auf.
    »Aber er war doch noch gar nicht im Ausland, nur im Bauch seiner Mutter. Seit seiner Entbindung befindet sich Sebastian permanent in Deutschland. Selbst wenn er wollte, könnte er nicht verreisen, weil er, wie Sie ganz richtig schrieben, keinen Kinderpass besitzt«, entgegnete ich.
    »Sie wollen mich schon wieder veräppeln«, meinte Frau Spende beleidigt.
    Ich ahnte Schlimmes und fragte sie, ob ich den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht aus dem Internet herunterladen oder ihn per Post zugeschickt bekommen könne. »Weder noch«, war die knappe Antwort. Ich musste persönlich den Antrag abholen. Damit setzte ich mich dann zusammen mit Sebastian an den Schreibtisch. Der »Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung« bestand aus siebenundzwanzig Fragen, die alle ausführlich beantwortet werden sollten, wie Frau Spende im Gespräch
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