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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
Autoren: Tessa Korber
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Gefühl.
    Als ich damit begann, mir das vorzustellen, fuhr alles Achterbahn. So viel Hoffnung, so viel Zweifel. So viel schlechtes Gewissen trotzdem dabei. Alle rieten mir zu, Eltern, Therapeuten, Freunde. Mein Freund natürlich, der mit mir leben will und ohnehin darauf pocht, dass wir uns eine Zukunftsperspektive für uns schaffen sollen.
    Im Heim ginge es ihm besser, hieß es, da hätten sie mehr Möglichkeiten, könnten ihn optimal fördern. Niemand, der einem auch nur im Ansatz ein schlechtes Gewissen einredete. Es scheint eine Sprach- und Verhaltensregelung zu geben, die alle Therapeuten, Ärzte und Psychiater einhalten: Wenn die Eltern signalisieren, dass sie so weit sind, das Kind abzugeben, dann wird ausschließlich gestützt.
    Ich glaubte all dem Zuspruch nur halb, ich wollte ihm glauben und konnte es doch nicht. Ich saß in der Liebesfalle. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Aber wenn es klappen würde, wenn Simon dort auskäme … Wenn ein Wunder geschähe …
    Natürlich geschah nichts dergleichen. Der Aufenthalt musste nach wenigen Tagen abgebrochen werden, Simon war völlig durch den Wind, hatte die Nächte nicht geschlafen und die Tage damit verbracht, in Sekundenabständen nach mir zu fragen. Kein Raum für Konzentration auf was auch immer jenseits davon, keine Chance für die Betreuer auf Zugang zu ihm. Wir versuchten es noch einmal mit Einzelnächten, in großen Abständen. Damit er sich langsam an die neue Umgebung gewöhnte. Eine Nacht jeden Monat, dachte ich, und dann nach einem halben Jahr langsam steigern, bis zum einwöchigen Aufenthalt im nächsten Sommer – so sah ein vernünftiger Plan für Simon aus. Aber das Kind war in den Brunnen gefallen. Simon sträubte sich mit allem, was er hatte.
    Und, wie das Heim mir mitteilte, Simon passe nicht zu ihnen. Er sei geistig zu wach. Das intellektuelle Niveau der anderen Insassen und das daraus resultierende Beschäftigungsprogramm würden ihm auf Dauer nichts bieten, er würde sich langfristig nicht wohl fühlen können. Im Gegenzug aber waren die anderen Bewohner pflegeleichter als er, und der Aufwand an Betreuung für meinen Sohn sei auf Dauer nicht zu leisten. Also dasselbe Problem wie in der Schule: einerseits zu klug, andererseits zu schwierig, nichts passte zusammen. Nach nur einem weiteren Versuch bat man uns, von künftigen Besuchen Abstand zu nehmen.
    Ich sammelte all meine widerstreitenden Gefühle wieder ein – das alte schlechte Gewissen hier und die Enttäuschung über die geraubten neuen Hoffnungen dort – und versuchte, wieder in die Spur zu finden. Ich teilte meinem Freund mit, dass ich es wohl auf absehbare Zeit nicht schaffen würde, mich von meinem Sohn zu lösen und ihn in ein Heim zu geben. Was immer das für unsere Zukunft bedeutete.
    Als wir uns noch nicht lange kannten, hatte er gemeint, er gebe sich zwei Jahre, die würde er es mit Simon aushalten. Aber wenn das Kind in die Pubertät komme, sollten wir eine Lösung finden.
    Meine Mutter mahnte, auf Dauer zähle das Paar, Kinder gingen aus dem Haus, Männer blieben. Viele würde ich nicht finden, die das mitmachen … Mein Vater meinte, ich hätte zwei Möglichkeiten in meinem Leben: »Entweder du behältst Simon, dann gehst du kaputt, kannst nicht mehr schreiben und verlierst dein ganzes Leben. Oder du gibst ihn weg, dann kannst du deine Beziehung behalten und deine Arbeit.«
    Meine Freunde sagten, ich solle endlich mal an mich denken.
    Die Therapeuten sagten, das sei nun einmal Simons Zukunft, es sei ganz natürlich, dass ich an eine Heimunterbringung denken würde.
    Ich saß da und heulte. Weil ich nicht stark genug war. Weil ich nicht überzeugt genug war. Und auch, weil ohnehin kein Heim Simon nehmen würde, selbst wenn ich wollte, solange er nicht kooperationsbereit und selbständiger ist. Oder eben nur eines, das mit so starken Störungen wie seiner und so auffälligem Verhalten fertig werden kann. Und genau da hatte ich nie hingewollt mit ihm.
    Mein Freund sagte, er wolle mich zu nichts zwingen und er bleibe bei mir, wie immer ich mich entscheide. Aber er wünsche sich, dass ich etwas für unsere gemeinsame Zukunft tue, meinen Beitrag dazu leiste, eine Perspektive zu schaffen. Dann wolle er das ebenfalls tun. Das war eine große Tat von ihm.
    Dann kam der nächste Morgen, 3.15 Uhr, Simon erwachte mit einem
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