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Ich lege Rosen auf mein Grab

Titel: Ich lege Rosen auf mein Grab
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Apartmentinnern eine nicht gerade damenhafte Frauenstimme, offensichtlich aus dem Bett.
    «Es ist dringend!» sagte Jossa.
    «Ich weiß nur, daß Ihr Klassenkamerad Jossa seine Braut hier vom Balkon runtergestürzt haben soll, und da sie auf der Stelle tot war, ist er dann geflüchtet. Weiter weiß ich nichts. Ich bin auch drei Jahre lang in Ghana gewesen. Müssen Sie mal zur Polizei gehen, zur Meldestelle…! Dann entschuldigen Sie uns bitte…»
    Die Tür fiel wieder ins Schloß, und Jossa schrie auf vor Schmerzen, wie einen epileptischen Anfall packte es ihn, brach wie ein Gewittersturm los in seinem malträtierten Gehirn. Ungesteuert-wilde Prozesse erschütterten alles, was vernarbt und neu gewachsen war an Neuronenbahnen und Synapsen. Er mußte sich setzen, sank auf die Stufen, verfiel in einen Zustand von wohliger Starre, kam sich vor, als erwachte er gerade aus einer langen Narkose, zitterte aber vom Kopf bis zu den Füßen, und seine Gedanken jagten sich in dieser Zeit überschnell und überwach. Gleichzeitig sprach er mit und zu sich selber, als wollte er den Speicherzellen im Gehirn die neuen Informationen über die Umwege Mund und Gehör besonders verläßlich eingeben. «Mugalle hat Anja in die Tiefe gestürzt! Anja ist tot! Mugalle ist geflüchtet! Mugalle gilt als Mörder!»
    Es war ein langer und von krampfartigen Schmerzen erfüllter Prozeß, bis er das alles nicht nur registriert, sondern auch verstanden hatte. Kein Wunder, daß er Anja in keinem Telefonbuch hatte finden können…
    Er lief auf die Straße hinunter, setzte sich ans Ufer des Flusses, brauchte Zeit und nochmals Zeit, seine Gedanken wieder zu ordnen.
    Anja tot, auch hier kein neuer Anfang möglich. Er weinte um sie; oder doch einzig um sich, um ein verlorenes Leben? Sah sie auf dem Bildschirm singen, spielen, tanzen; hatte sie ja letztens nur noch elektronisch-synthetisch erlebt. Doch er brauchte nur die Augen zu schließen, schon spürte er sie wieder körperwarm, fuhr mit seinen Fingerkuppen ihren Nacken hoch, küßte ihren kupferbraunen Hals, schmeckte Sandelholz und Zimt.
    Anja. Abhaken.
    Und Mugalle als Jossa auf der Flucht. Viele Wochen waren ja vergangen, wo mochte er geblieben sein? Welch Ironie, welch Pech, daß Anja – warum nur? – doch noch mal nach Bramme hochgekommen war. Hellwach, wie immer, mußte sie ihn alsbald durchschaut und dann irgendwie in Panik versetzt haben. Jedenfalls: Sie zerschmettert unten auf der Straße, er verwirrt im Apartment oben. Und alles konnte er, Mugalle, von jetzt ab noch sein, nur Jossa nicht, denn der wurde ja nun mit Sicherheit wegen Totschlag, wegen Mordes gesucht. Also fliehen, untertauchen, einen dritten Namen suchen.
    Nicht undenkbar, daß er nun nach Bramme kam, um wieder Mugalle zu werden, denn der war ja nun ein freier Mann und stand nicht unter Mordverdacht.
    Jossa stand wieder auf und schlenderte zur Altstadt hinauf. So unsinnig waren seine Ängste also gar nicht gewesen…
    Was würde denn passieren, fragte er sich, als er erneut in der Fährgasse war, wenn ich nun zur Kripo ginge und zu Catzoa sagte: «Hallo, hier bin ich: Jens-Otto Jossa, Anjas Mörder, und nun verhaftet mich mal!»
    Nein, um Gottes willen nicht! Dann war er zwar womöglich wieder akzeptiert als Jossa, hatte dafür aber ein übles Verfahren am Hals, und neue Leidensjahre in der Brammer Haftanstalt erwarteten ihn.
    Er schlug sich mit den Fäusten gegen beide Schläfen, bis die Leute stehenblieben, wollte alles Weiterdenken unterbinden: «Aufhören!» Fing sich aber wieder, indem er, wie in der Klinik gelernt, die formelhaften Wendungen des Autogenen Trainings vor sich hinsprach: «Ich bin ruhig, sicher, fest und frei! Ich bin ruhig, sicher, fest und frei!» Zeit gewinnen, in Ruhe über alles nachdenken, eine Auszeit nehmen, sich zur Hängepartie vertagen und alle Möglichkeiten, alle möglichen Züge noch einmal sorgfältig durchspielen, die einzelnen Wahrscheinlichkeiten kühl gegeneinander abwägen. Sich bis dahin nur noch treiben lassen.
    Jossa kam zur Kirchgasse und fand an ihrem Ende den Eingang zum Alten oder Matthäi-Friedhof, vom Wasserturm, denkmalsgeschützt inzwischen, weithin kenntlich gemacht.
    Da oben hatte vor Jahren einmal, kam ihm wieder in den Sinn, der Brammer Robin Hood gestanden, der junge Benno Drobsch, und den anrückenden Polizisten und andern Terroristenjägern gedroht, sich in den Tod zu stürzen.
    Selbstmord…
    Friedhof…
    Ohne daß er es recht eigentlich wollte, zog es ihn in die
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