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Ich hasse dich - verlass mich nicht

Ich hasse dich - verlass mich nicht

Titel: Ich hasse dich - verlass mich nicht
Autoren: J Kreisman
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Gefühl, dass »der Vorhang langsam hochging«. Sie verglich es mit dem Gefühl, auf einem dunklen Dachboden, der mit Unrat angefüllt ist, nach einer wertvollen Antiquität zu suchen – sie wusste, dass sie sich irgendwo dort befand, konnte sie aber unter all dem Unrat nicht finden. Als sie sie schließlich erblickte, konnte sie sie nicht erreichen, weil sie »unter einem Haufen Müll begraben war«. Hin und wieder konnte sie jedoch einen freien Weg zu dem Objekt erblicken, so als ob ein Blitz den Raum für einen Augenblick erhellte.
    Die Blitze waren jedoch zu kurz. Alte Zweifel tauchten wie die hässlichen Fratzen in einer Geisterbahn wieder auf. Oft hatte sie das Gefühl, mit einem Fahrstuhl nach unten zu sausen; sie kämpfte sich eine Stufe nach oben, um wieder zwei Stufen zurückzufallen. Sie wollte sich noch immer unter Wert verkaufen und fühlte sich anderen für ihre Erfolge verpflichtet. Aber ihre erste wirkliche Herausforderung – Rechtsanwältin zu werden – war fast schon Realität. Fünf Jahre früher wäre sie gar nicht in der Lage gewesen, überhaupt von Studium zu sprechen, und hätte nie den Mut gehabt, sich einzuschreiben. Ihre Depressionen bekamen jetzt einen anderen Anstrich: Die Angst zu versagen wurde nun zu einer Angst vor dem Erfolg.
    Wachsen und sich verändern
    »Sich zu ändern ist wirklich harte Arbeit!«, sagte Elisabeth oft. Dafür ist der bewusste Rückzug von schädlichen Situationen erforderlich und der Wille, ein gesünderes Fundament zu schaffen. Außerdem kommt es zu drastischen Verschiebungen in einem lang bestehenden Gleichgewicht.
    Wie bei Darwins Evolutionstheorie treten individuelle Veränderungen fast nicht wahrnehmbar auf und entstehen durch Probieren. Der Einzelne widersetzt sich Mutationen instinktiv. Er mag in einer Art Morast leben, aber es ist sein Morast. Er weiß, wo sich alles befindet, was in all den Tümpeln und Sümpfen enthalten ist. Diesen Morast zu verlassen bedeutet, sich ins Unbekannte vorzuwagen und vielleicht in einem noch gefährlicheren Sumpf zu versinken.
    Für die Borderline-Persönlichkeit, deren Welt durch die Schwarz-Weiß-Sicht so klar markiert ist, scheint die Unsicherheit durch Veränderung sogar noch bedrohlicher. Der Betroffene klammert sich möglicherweise an Extreme, aus Angst, unkontrollierbar in den Abgrund eines anderen Extrems zu fallen. Wenn eine Frau beispielsweise an Magersucht leidet, hungert sie aus Angst, dass die Nahrungsaufnahme, selbst wenn sie nur gering ist, zu einem völligen Verlust der Kontrolle und damit unwiderruflich zu Fettleibigkeit führt.
    Die Angst der Borderline-Persönlichkeit vor Veränderung ist das grundlegende Misstrauen gegenüber den eigenen »Bremsen«. Bei gesunden Menschen gestatten diese psychischen Bremsen den langsamen Abstieg von der Bergspitze einer Laune oder eines Verhaltens zu einem sanften Anhalten in der »Grauzone«. Die Borderline-Persönlichkeit hat jedoch Angst, dass die Bremsen nicht funktionieren könnten, und befürchtet, nicht anhalten zu können. Sie hat Angst, dass sie unkontrolliert bis zum Fuß des Hügels herabstürzen wird.
    Veränderungen machen, auch wenn sie noch so langsam verlaufen, die Änderung automatischer Reflexe erforderlich. Die Borderline-Persönlichkeit befindet sich in einer ähnlichen Situation wie ein Kind, das gewaltsam ein Wimpernzucken oder ein Lachen zu unterdrücken versucht, während ein anderes Kind mit der Hand wedelt oder ein komisches Gesicht zieht. Derartige Reflexe haben sich über Jahre hinweg entwickelt und können nur bewusst verändert werden, wenn der Betroffene sich dazu motiviert fühlt.
    Erwachsene verhalten sich bisweilen ähnlich. Ein Mann, der in einer fremden Umgebung einem wütend bellenden Hund begegnet, widersteht dem automatischen Reflex, vor der Gefahr wegzurennen. Er weiß, dass der Hund ihn wahrscheinlich einholen würde, wenn er wegrennt, sodass die Bedrohung noch größer würde. Stattdessen tut er das Gegenteil – er bleibt ganz still stehen, der Hund schnüffelt an ihm, und er geht dann langsam weg.
    Für psychische Veränderungen ist es nötig, unergiebigen automatischen Reflexen zu widerstehen und bewusst und absichtlich andere Alternativen zu wählen – Wahlmöglichkeiten, die anders sind und manchmal dem automatischen Reflex sogar entgegengesetzt. Diese neuen Verhaltensweisen können Angst machen, aber es besteht die Hoffnung, dass sie wirkungsvoller sind.
    Elisabeth und ihr Psychiater verabredeten sich auf ihrer Reise der
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