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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt
Autoren: Anna Gavalda
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Szene zwischen Eheleuten. Bei den Dippels hat man das nicht gelernt, oder? Schreie, Szenen, Stimmungsschwankungen, so etwas Vulgäres, nicht? Oh ja, so etwas Vulgäres. Bei den Dippels gilt never explain, never complain , das ist doch was ganz anderes. Das hat Klasse.«
    »Hör sofort auf, Chloé!«
    Ich heulte.
    »Hörst du denn, was du sagst? Hörst du, wie du zu mir sprichst!? Ich bin doch kein Hund, Pierre. Ich bin doch nicht dein Hund, verdammt noch mal! Ich habe ihn ziehen lassen, ohne ihm die Augen auszukratzen, ich habe die Tür ganz leise wieder geschlossen, und jetzt stehe ich hier, stehe hier vor dir, vor meinen Kindern. Ich tue mein möglichstes. Verstehst du, ich tue mein möglichstes. Kennst du diesen Ausdruck? Wer hat mein verzweifeltes Weinen gehört, wer? Drum spiel hier nicht den Beleidigten mit deinen kleinen Verstimmungen. Du willst nicht, daß ich gehe – ach, Pierre – ich werde ungehorsam sein müssen – so leid es mir tut – so leid …«
    Er hatte mich bei den Handgelenken gepackt und hielt sie mit aller Kraft fest. Ich konnte meine Arme nicht mehr bewegen.
    »Laß mich los! Du tust mir weh! Ihr tut mir alle weh in dieser Familie! Pierre, laß mich los.«
    Kaum hatte er seine Umklammerung gelockert, fiel mein Kopf auf seine Schulter.
    »Ihr tut mir alle weh …«
    Ich weinte an seinem Hals und vergaß, wie unwohl er sich dabei fühlen mußte, er, der nie einen Menschen berührte. Ich weinte und dachte gelegentlich an unsere Spaghetti, die ungenießbar sein würden, wenn ich sie nicht abschreckte. Er sagte: »Na, na …« Er sagte: »Verzeihung.« Er sagte auch: »Ich bin ebenso traurig wie du…« Er wußte nicht, wohin mit seinen Händen.
    Schließlich machte er sich los, um den Tisch zu decken.

»Auf dich, Chloé.«
    Ich stieß mit meinem Glas gegen seins.
    »Ja, auf mich«, antwortete ich mit einem gequälten Lächeln.
    »Du bist ein großartiges Mädchen.«
    »Ja, großartig. Und außerdem zuverlässig, mutig … Was noch?«
    »Witzig.«
    »Ach ja, fast hätte ich’s vergessen, witzig.«
    »Aber ungerecht.«
    »…«
    »Du bist ungerecht, nicht wahr?«
    »…«
    »Du denkst, daß ich nur mich liebe?«
    »Ja.«
    »Dann bist du nicht ungerecht, sondern dumm.«
    Ich hielt ihm mein Glas hin.
    »Ja, das wußte ich schon – schenk mir noch mal von diesem wunderbaren Trank nach.«
    »Du hältst mich für einen alten Kotzbrocken?«
    »Ja.«
    Ich nickte. Ich war nicht boshaft, ich war unglücklich.
    Er seufzte.
    »Warum bin ich ein alter Kotzbrocken?«
    »Weil du niemanden liebst. Dich niemals gehenläßt. Nie da bist. Nie bei uns bist. Dich nie an unseren Gesprächen, unseren Späßen beteiligst, an unserem mittelmäßigen Geplänkel. Weil du nicht zärtlich bist, nie etwas sagst und dein Schweigen an Verachtung grenzt. Weil du …«
    »Danke, danke, das genügt.«
    »Entschuldige bitte, ich antworte auf deine Frage. Du fragst mich, warum du ein alter Kotzbrocken bist, und ich antworte dir. Allerdings muß ich einschränkend hinzufügen, daß ich dich nicht sonderlich alt finde.«
    »Du bist zu liebenswürdig.«
    »Gern geschehen.«
    Ich bleckte die Zähne, während ich ihm freundlich zulächelte.
    »Aber wenn ich so bin, wie du behauptest, warum bin ich dann mit dir hierhergefahren? Warum habe ich so viel Zeit mit euch verbracht?«
    »Weil, wegen, das weißt du genau.«
    »Wegen was?«
    »Wegen deinem Ehrgefühl. Diese Koketterie der guten Familien. Sieben Jahre laufe ich euch jetzt schon zwischen den Füßen herum, und zum ersten Mal interessierst du dich für mich. Ich will dir sagen, was ich denke. Ich finde dich weder wohlwollend noch wohltätig. Ich sehe vollständig klar. Dein Sohn hat eine Dummheit gemacht, und du, du kommst hinterher, wischst auf, stopfst zu. Du versuchst, die Risse zu kitten, so gut du kannst. Weil du Risse nicht magst, oder, Pierre? Nein, nein! Risse magst du überhaupt nicht.
    Ich will dir sagen, was ich denke. Du hast mich hierhergebracht, um den Schein zu wahren. Der Kleine hat Mist gebaut, okay, man beißt die Zähne zusammen und bereinigt die Angelegenheit, ohne viele Worte zu verlieren. Früher hast du dem geschädigten Bauerntölpel ein paar Scheinchen hingeblättert, wenn der GTI des arroganten Rotzbengels wieder einmal einen Vorgarten gerammt hatte, und heute führst du die Schwiegertochter aus. Ich warte nur noch auf den Moment, wo du mir mit schmerzlichem Gesichtsausdruck verkündest, daß ich auf dich zählen kann. Finanziell, versteht sich. Du bist
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