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Ich bin Nummer Vier

Ich bin Nummer Vier

Titel: Ich bin Nummer Vier
Autoren: Lore Pittacus
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haben wir den Kasten dabei, die beiden Hochleistungscomputer, vier Fernsehmonitore und vier Kameras. Auch einiges zum Anziehen ist eingepackt, obwohl nicht viele der Klamotten aus Florida für Ohio geeignet sind. Henri trägt den Kasten in sein Zimmer, danach schleppen wir alle Geräte in den Keller, wo er sie aufstellen wird und kein Besucher sie entdecken kann. Sowie alles im Haus ist, baut er die Kameras auf und schaltet die Monitore ein.
    »Vor morgen früh haben wir hier kein Internet. Aber wenn du morgen in die Schule gehen willst, kann ich dir deine neuen Dokumente ausdrucken.«
    »Muss ich dir beim Putzen und Einrichten helfen, wenn ich hierbleibe?«
    »Ja.«
    »Klar, ich gehe in die Schule«, sage ich.
    »Dann leg dich lieber rechtzeitig schlafen.«

4
    Eine andere Identität, eine andere Schule. Ich habe den Überblick darüber verloren, wie viele es im Laufe der Jahre gewesen sind. Fünfzehn? Zwanzig? Immer eine kleine Stadt, eine kleine Schule, immer die gleiche Routine. Neue Schüler fallen auf. Manchmal zweifele ich an unserer Strategie, ausschließlich in Kleinstädten zu wohnen, weil es schwierig, fast unmöglich ist, dort unbemerkt zu bleiben. Aber ich kenne Henris Grund: Genauso wie für uns ist es auch für
sie
unmöglich, unbemerkt zu bleiben.
    Am nächsten Morgen fährt Henri mich zur Schule, die drei Meilen von unserem Haus entfernt ist. Sie ist kleiner als die meisten anderen, in denen ich war, und ziemlich unscheinbar, einstöckig, lang und niedrig. Ein Wandbild von einem Piraten mit einem Messer zwischen den Zähnen bedeckt die Außenwand neben dem Vordereingang.
    »Du bist also jetzt ein Seeräuber?«, fragt Henri neben mir lakonisch.
    »Sieht so aus.«
    »Du weißt, wie du dich zu verhalten hast.«
    »Das ist nicht mein erstes gekapertes Schiff.«
    »Lass sie nicht deine Intelligenz spüren. Das nimmt sie gegen dich ein.«
    »Nicht im Traum.«
    »Bleib unauffällig, zieh keine Aufmerksamkeit auf dich.«
    »Wie eine Fliege an der Wand«, verspreche ich.
    »Und kränke niemanden. Du bist viel stärker als alle anderen.«
    »Ich weiß.«
    »Das Wichtigste: sei bereit, jederzeit abzuhauen. Was hast du in deinem Rucksack?«
    »Trockenobst und Nüsse für fünf Tage. Extrasocken und Thermounterwäsche. Regenjacke. Ein tragbares Navi. Ein Messer, als Füller getarnt.«
    »Das musst du immer bei dir behalten.« Henri holt tief Luft. »Und achte auf Zeichen. Dein Erbe kann jeden Tag zum Vorschein kommen. Verbirg es unter allen Umständen und ruf mich sofort an.«
    »Ich weiß, Henri.«
    »Jeden Tag, John«, wiederholt er. »Wenn deine Finger zu verschwinden scheinen, wenn du schwebst oder heftig zitterst, wenn du die Muskelbeherrschung verlierst oder Stimmen hörst, obwohl niemand redet – irgendetwas, dann rufst du mich an.«
    Ich klopfe auf meine Tasche. »Da ist mein Handy.«
    »Ich werde hier nach der Schule auf dich warten. Viel Glück da drin, Kleiner!«
    Ich lächle ihm zu. Heute ist er fünfzig. Als wir ankamen, war er vierzig. Sein Alter machte die Umstellung schwieriger. Er spricht immer noch mit einem starken lorienischen Akzent, der oft für Französisch gehalten wird. Am Anfang war das ein gutes Alibi, er nannte sich also Henri und ist seither dabei geblieben. Nur den Nachnamen wechselt er, damit er zu meinem passt.
    »Dann gehe ich jetzt mal und mische den Laden auf«, sage ich.
    »Mach’s gut.«
    Wie bei den meisten Highschools hängen jede Menge Schüler davor herum, ordentlich in Gruppen aufgeteilt: die Sportfanatikerund die Cheerleader, die Bandmusiker mit ihren Instrumenten, die schlauen Köpfe mit ihren Brillen, Büchern und Handys, die Kiffer mit Abstand an der Seite, ohne die anderen wahrzunehmen. Ein Junge, schlaksig, dicke Brillengläser, steht allein. Er trägt ein schwarzes-T-Shirt und Jeans, mehr als fünfzig Kilo kann er nicht wiegen. Durch ein Fernrohr betrachtet er den Himmel, der fast ganz von Wolken bedeckt ist.
    Dann fällt mir ein Mädchen auf, das Fotos macht und sich dabei locker eine Gruppe nach der anderen vornimmt. Es ist unglaublich schön mit glatten blonden Haaren bis über die Schultern, elfenbeinfarbener Haut, hohen Wangenknochen und sanften blauen Augen. Alle scheinen es zu kennen und begrüßen es mit großem Hallo, niemand hat etwas dagegen, von ihm fotografiert zu werden.
    Das Mädchen bemerkt mich, lacht und winkt. Warum bloß? Ich drehe mich um, vielleicht steht jemand hinter mir. Zwei Kids reden über ihre Hausaufgaben, aber sonst ist da niemand.
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