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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite
Autoren: John Shors
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Sprichwort
    »Hier drin ist es nicht ganz so durchgeknallt wie da draußen, oder?«, fragte Ian und half Mattie auf ihren Sitz, erleichtert darüber, dem Gedränge auf Tokios Bürgersteigen entkommen zu sein.
    Mattie betrachtete das schmale Fließband vor ihr, das Sushi-Portionen zu den Gästen transportierte, die an einem langen Tisch saßen. Das Sushi lag auf verschiedenfarbigen Tellern, und Mattie blickte von einem zum anderen. »Warum sind da so viele Farben?«, fragte sie, erschöpft von dem langen Flug, sie sprach langsam, und ihre Stimme war ruhig – ganz anders als die ihres Vaters mit seinem australischen Akzent und seiner Tendenz, Worte zusammenzuziehen.
    Ian nickte der vorbeieilenden Kellnerin zu. »Na ja, jeder Teller steht für eine bestimmte Geldsumme, meine Kleine. Auf den grünen Tellern liegt das billigste Sushi, schätze ich. Die blauen sind vielleicht in der Mitte und die roten sind die teuersten und so weiter. So machen die das hier – dadurch geht alles schnell und effizient.«
    »Oh.«
    »Möchtest du mal probieren?«
    »Klar.«
    Die Kellnerin, die ein schwarzes T-Shirt und einen schwarzen Rock trug, fragte, ob sie etwas trinken wollten. Ian versuchte sich an sein Japanisch zu erinnern und kramte ein paar Phrasen aus einem früheren Leben heraus. Nachdem die Kellnerin seine Bestellung aufgenommen hatte und gegangen war, legte er den Arm um Mattie, die das Ende eines ihrer langen Zöpfe an ihrem Kinn rieb. »Sie denkt bestimmt, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe«, meinte er und versuchte, ein Lächeln auf Matties Gesicht zu zaubern, eine Aufgabe, von der er schon beinahe besessen war. »Ich weiß nicht, ob ich uns Wasser bestellt oder ihr gesagt habe, dass wir gerne schwimmen gehen würden.«
    Mattie beobachtete weiter die Teller und dachte, dass sie sie gerne gemalt hätte. »Bist du mit Mami schon mal hier gewesen?«
    »Nein, Schatz, ich glaube nicht. Tokio hat ungefähr dreißig Millionen Einwohner. Es ist sehr viel größer als New York. Und Restaurants wie dieses gibt es an fast jeder Ecke. Zweimal auf dasselbe zu stoßen ist, wie deine Lieblingsnadel in einem Berg von Nadeln zu finden. Außerdem haben wir in Kyoto gelebt und waren nur zwei oder drei Mal in Tokio.«
    Mattie nickte geistesabwesend und betrachtete die verschiedenen Sushis. Rechteckige Stücke von rosafarbenen, roten, weißen und orangenem Fisch lagen auf den meisten Tellern, obwohl sich auch Fischrogen, Tintenfischtentakel, Garnelenscheiben und Flaschen mit Bier und Sake von ihrer rechten auf ihre linke Seite bewegten. Sie war überrascht, als sie sah, dass vor dem Mann, der zwei Stühle weiter saß, schon ein Stapel von mindestens einem Dutzend Tellern stand. Wie konnte jemand, der so klein war, so viel essen?, fragte sie sich.
    Während Mattie den Mann beobachtete, betrachtete Ian sie. Seit Kates Tod redete Mattie weniger als früher. Sie stellte immer noch eine Menge Fragen, schien aber mehr an Antworten als an einer Unterhaltung interessiert zu sein. Früher war Mattie neun gewesen und hatte wie neunzehn gewirkt, begierig darauf, ihren Eltern die Welt zu erklären. Aber jetzt, anderthalb Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, schien sie beinahe alles Interesse daran verloren zu haben, ihr Wissen zu teilen.
    »Ich schätze, es ist nicht besonders hilfreich, in diesem Teil der Welt ein Tintenfisch zu sein«, meinte Ian und deutete auf einen Gast in der Nähe, der gerade einige Tentakel aß. »Acht Arme zu haben, hat dem jedenfalls nichts genützt.«
    Ein Lächeln breitete sich auf Matties Gesicht aus. Ihr Lächeln war wie ein wärmender Sonnenaufgang. »Sei nicht albern, Papa«, sagte sie. »Das ist mir peinlich.«
    »Es ist dir peinlich? Dem Mädchen, das immer nackt auf unserer Terrasse herumgelaufen ist?«
    »Papa!«
    Er beugte sich vor und küsste sie seitlich auf den Kopf. »Ach, ignoriere mich einfach.«
    Die Kellnerin brachte ihnen Wasser, und Ian bedankte sich bei ihr. Mattie beobachtete weiter das Essen, das an ihnen vorbeizog. Sie nahm ihre Stäbchen in die Hand und erinnerte sich daran, wie ihre Mutter versucht hatte, ihr beizubringen, wie man damit aß. Ihre Mutter hatte ihr so viel beigebracht – wie man Fahrrad fuhr, wie man Tulpenzwiebeln einpflanzte und vor allem, wie man malte. Sie waren oft in den Central Park gegangen und hatten zusammen gezeichnet. Manchmal hatte ihre Mutter ihr eine Geschichte vorgelesen, und Mattie hatte dann gemalt, was darin passierte. Zuerst waren ihre Zeichnungen nicht
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