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Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Titel: Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
Autoren: Sarah Beth Durst
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nach Hause bringen«, sagte er.
    Sie versuchte, in seinen unerforschlichen schwarzen Augen zu lesen, doch es gelang ihr nicht.
    Ihre Kehle war ganz ausgetrocknet. Sie wollte etwas sagen, schluckte und versuchte es noch einmal. »Nach Hause?«
    Er senkte sein massiges Haupt, und sie erschauerte. »Deine Mutter wird in die Arktis zurückgebracht werden, sobald du dein Versprechen eingelöst hast«, sagte er. »Gleich nach unserer Ankunft werde ich alle nötigen Vorkehrungen treffen.«
    Wind peitschte auf Cassie ein. Eiskristalle bombardierten ihren Anorak. Sie nahm ein paar tiefe Züge eiskalter Luft, die wie Feuer in ihrer Lunge brannten, und versuchte zu nicken, als ob sie verstanden hätte.
    »Setz dich auf meinen Rücken«, wiederholte der Bär.
    Wenn ihre Mutter noch lebte, dann war sie seit vielen, vielen Jahren gefangen, und niemand war gekommen, um sie zu retten. Dad hatte sie nicht gerettet. Dad hatte behauptet, sie sei gestorben. Und er hatte das alles vor Cassie geheim gehalten.
    Plötzlich wollte sie auf diesen Bären klettern und auf ihm so weit von der Station wegreiten wie nur irgend möglich. Sie legte eine Hand auf seinen Rücken, schwang ein Bein darüber und setzte sich fest hin. Oh Gott, sie saß auf einem Eisbären!
    »Halte dich gut fest, Geliebte!«
    Cassie packte das Fell in seinem Genick, und er trug sie fort. Fort von dem einzigen Ort auf der Welt, den sie bis jetzt als ihr Zuhause betrachtet hatte.

Kapitel Vier
    Geografische Breite: 76° 03 ' 42 " N
    Geografische Länge: 150° 59 ' 11 " W
    Höhe: 1,52 m
    Mit langen Sprüngen setzte der Bär durch den Schnee. Cassie krallte sich fest in das dichte Fell und biss die Zähne zusammen. Sie wurde ordentlich durchgeschüttelt. Wolken von Schnee stiebten hoch.
    »Hast du Angst?«, rief der Bär ihr zu.
    »Ganz und gar nicht.«
    »Halte dich nur gut an meinem Fell fest, dann wird dir nichts geschehen«, gab er zurück.
    Unmöglich eigentlich, aber er verschärfte das Tempo weiter. Alles verschwamm zu einer einzigen weißen Fläche, als das Meereis nur so unter ihnen vorbeiflog. Cassie kniff die Augen fest zusammen und machte sie wieder auf. Denk nicht über den Bären nach, sagte sie sich ein ums andere Mal. Konzentriere dich einfach auf die Bewegung!
    Der Bär raste über das Eis. Schatten flogen vorbei wie lange, dunkle Blitze. Sterne dehnten sich zu Kometenschweifen, die ihre Bahn über den Himmel zogen wie in einer Zeitrafferaufnahme. Schneller und immer schneller. Cassie hatte das Gefühl zu fliegen. Sie war schneller als ein Schneemobil, schneller als Max’ Twin Otter. Wind beutelte ihre Gesichtsmaske, und sie lachte laut auf. Am liebsten hätte sie aus voller Lunge geschrien. Seht her! Ich bin schneller als der Wind! Schneller als der Schall! Schneller als das Licht! Ihr war, als wäre sie selbst Licht . Ein Polarlicht, das über den arktischen Himmel flirrte.
    Weiter und weiter rannte der Bär.
    Endlich, als die Sterne verblassten und der Himmel heller wurde, fielen sie in einen beruhigenden Rhythmus. Cassies Rucksack hüpfte und schlug in regelmäßigen Abständen schmerzhaft gegen ihre Schultern. Um sie herum herrschte tiefe Stille, einzig unterbrochen vom rauen Pfeifen des Windes.
    Lange Zeit später hörte Cassie Eiskörnchen unter den Tatzen des Bären knirschen, ein ohrenbetäubend lautes Geräusch in der monumentalen Stille der Arktis. Sie streckte sich und massierte ihre steifen, schmerzenden Oberschenkel. Der Bär hatte das Tempo verlangsamt und trabte jetzt gemächlich über die schimmernd gefrorene See. Die Welt war ein Gemälde aus Streifen weißen und blauen Eises, in denen sich der Himmel und eine tief stehende, blasse Sonne spiegelten.
    Cassie wand sich in ihrem Anorak, bis sie das GPS aus der Innentasche gefischt hatte. Sie schaltete das Gerät ein, und ein Signal leuchtete auf. Sie bewegte es vor und zurück, versuchte, eine klare Anzeige zu bekommen. Die Angabe des Längengrades schwankte wie wild: mal waren es 0°, mal 180°, als wäre sie direkt am Nordpol. Aber was noch schlimmer war: Der Breitengrad zeigte 91° an. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Kein Satellit kreiste über einem Ort, der gar nicht existierte. Sie schüttelte das Gerät, doch die fehlerhafte Anzeige blieb dieselbe. Cassie starrte sie an, und ihr Herz begann zu rasen. Entweder hatte das GPS eine Fehlfunktion oder …
    Oder das hier war der empirische Beweis dafür, dass das Unmögliche Realität war.
    Cassie lehnte sich nach vorne und räusperte sich.
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