Icarus
Zwei von ihnen hielten ihn fest. Einer hatte ein Metzgermesser. Riesengroß und glänzend.
»Du hast doch eine tödliche Rechte, nicht wahr?« sagte einer von ihnen. »Auf diese Rechte bist du sicherlich richtig stolz.«
Dom sagte nichts. Sogar als das Fleischbeil heruntersauste und den Knochen seines rechten Arms durchschlug und ihn in Höhe des Unterarms abtrennte.
Das einzige, was er danach hörte, kurz bevor er ohnmächtig wurde, war: »Du kleines Stück Scheiße. Glaub bloß nicht, daß du diese Rechte noch mal benutzen wirst.«
Caroline war während des letzten Teils der Geschichte nicht weitergegangen. Sie lehnte an einem Laternenpfahl, hielt sich mit einer Hand daran fest, hatte sie so krampfhaft darum geklammert, daß die Finger weiß und fleckig waren.
»O mein Gott«, sagte sie. Sie wiederholte es mehrmals.
»Ich hab’s dir gesagt.«
»Du hast mir gesagt, es wäre eine andere Welt.«
»Es ist eine andere Welt.«
»Es ist ein anderes Universum .«
»Möchtest du, daß ich aufhöre?«
»Da ist noch mehr? Das war noch nicht das Ende?«
Jack schüttelte den Kopf.
Einen Moment lang schloß sie die Augen. Dann schlug sie sie wieder auf. »Erzähl mir den Rest«, verlangte sie.
Also tat er ihr den Gefallen. Er erzählte ihr, wie Dom sich während der nächsten Monate erholt hatte, nachdem seine Boxkarriere beendet war. Als er wieder zu Kräften gekommen war, suchte er sich einen Job als Metzger. Es war eine ganz bewußte Entscheidung – diese Laufbahn erschien ihm irgendwie wie auf den Leib geschneidert nach dem, was passiert war. Er arbeitete ein paar Jahre in einer Metzgerei, erlernte den Beruf und begann für ein eigenes Geschäft zu sparen. In dieser Zeit zog er Erkundigungen ein, hielt Augen und Ohren offen. Wenig mehr als drei Jahre nach jener Nacht in seinem Apartment fand er schließlich die drei Männer, die ihn besucht hatten. Jetzt stattete er ihnen einen Besuch ab. Zwei von ihnen waren zusammen, und er lauerte ihnen auf, als sie kurz nach Mitternacht aus einer Bar kamen. Dom näherte sich ihnen von hinten, machte sich nicht bemerkbar und erschoß sie, während sie die Straße hinuntergingen. Er brauchte mehr als zehn Tage, um den dritten Mann zu finden. Aber er fand ihn. Er wartete auf ihn im Flur des Apartmenthauses, in dem der Mann wohnte. Diesmal wollte er sich zu erkennen geben, aber dazu gab es keine Gelegenheit. In dem Augenblick, als der Mann Doms Arm sah, machte er kehrt und flüchtete. Er kam nicht weit. Binnen zwei Schritten schoß Dominick Bertolini dem Mann eine Kugel in den Hinterkopf.
Caroline war jetzt bleich geworden und schwankte deutlich. »Kam er ins Gefängnis?«, fragte sie.
Jack schüttelte den Kopf. »Es gab keine Beweise. Und niemand suchte zu genau, um welche zu finden. Die Opfer waren nicht gerade das, was man als wertvolle Stützen der Gesellschaft bezeichnen würde.«
»Aber wenn doch jeder wußte, daß Dom …«
»Niemand wußte es. Vielleicht hegten ein paar Leute einen Verdacht, aber er machte es nicht bekannt. Darum ging es auch gar nicht. Er erzählte es nur ganz wenigen, denen er vertraute. Ich glaube, selbst heute gibt es nicht mehr als fünf Menschen, die wissen, was damals geschah.«
»Wie … wie wird er reagieren, wenn er weiß … daß …«
»Daß ich es dir erzählt habe? Ich habe ihm gestern mitgeteilt, ich würde dich informieren.«
»Und was hat er gesagt?«
»Gar nichts. Er vertraut mir.«
Caroline atmete langsam aus. »Dieser Mann … hat dich aufgezogen?«
»Ich bin hier, weil es ihn gab. Und alles, was ich bin, verdanke ich vorwiegend ihm.« Er wartete, aber sie schien keine weiteren Fragen zu haben. »Willst du ihn noch immer kennenlernen?« fragte er schließlich.
Sie nickte.
»Was ist los?« lächelte er. »Kannst du nicht reden?«
Und als sie den Kopf schüttelte, erwiderte sie zum erstenmal sein Lächeln nicht.
Er führte sie in die Fleischfabrik, beobachtete, wie ihre Blicke die Kadaver und das Blut auf dem Fußboden und die Männer mit ihren dicken Bäuchen und fettigen Haaren musterten, die das Fleisch schleppten. Er beobachtete auch, wie sie Dom entdeckte. Als er hochblickte und bemerkte, daß sie da waren, rührte Dom sich nicht. Er sah Caroline an, als wartete er darauf, was sie tun würde. Sie ging geradewegs auf ihn zu, ergriff seine heile Hand, beugte sich vor und küßte ihn sanft auf die Wange. Dabei flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Dom errötete, als wäre er verlegen, aber er zog seine Hand nicht weg. So
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