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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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breitgequetschten kalten Frikadelle.

Liebster Mann!

    Das Schmalz stammte von einer Leserin, samt irdenem Topf und herzlichen Grüßen. (Das rote Schleifchen war noch dran.) Sowtschick hatte es für sich reserviert, davon aß nur er allein, und er teilte es sich zu, damit es recht lange vorhielte.

    Mit den in mundgerechte Happen geschnittenen und auf einem Brett gefällig angeordneten Schnitten ging er hinüber und setzte sich in seine Fernsehecke. Nun käme der angenehmere Teil des Tages, der erquickende, Verknotungen lösende Abend.

    Sowtschick war ein sogenannter «Vielseher». Obwohl auch sein Gerät Röntgenstrahlen von sich gab, wie auf der Rückseite vermerkt war – «entspricht jedoch der RÖV» –, sah er gerne fern. Das war ein Laster, das er zu verheimlichen suchte: «Jeden Abend saß der Dichter vor dem Fernsehapparat …», eine solche Passage würde sich nicht besonders gut ausnehmen in seiner Biographie. Marianne setzte sich selten dazu, weil er mit der Fernbedienung ständig den Kanal wechselte, was er auch dann tat, wenn er wußte, daß im Ersten Schlagersänger Treppen hinauf-und hinunterstiegen, daß im Zweiten in «Ehen vor Gericht» einfältige Gatten zu sehen waren, die gegen aufgedrehte Gattinnen Unrecht bekamen, und im Dritten eine Talkshow lief, in der ganz normale Politiker mit Schlips und Nadelstreifen irgendwie niedergeschrien wurden. Nacht für Nacht gab er sich der Bilderflut hin: An zunehmenden Vergeßlichkeiten war zu bemerken, daß sie bereits Auswaschungen in seinem Gehirn hervorgerufen hatte.

    Sowtschick schaltete die Tagesschau ein, er hoffte auf Kameraschwenks über dreißig Kilometer Autostau oder auf vandalistische Akte, Gewaltszenen mit vermummten Polizisten, die auf vermummte Demonstranten einschlagen, aber er wurde enttäuscht. An diesem Abend war nach der nahezu vollzähligen Abhandlung jener Problemfelder, die für die «Winterreise» bereits auf seinem Merkzettel standen, nur von Gewerkschaftssachen die Rede, kein Großfeuer, keine Massenkarambolage mit – leider – zugedeckten Leichen, kein Flugzeugabsturz, bei dem verwirrte Überlebende unter huschenden Blinkleuchten gefragt werden, ob sie, als sie nach Miami starteten, damit gerechnet hätten, auf einer Autobahn notzulanden? Nichts von alledem. Gewerkschaftssachen dürrster Art. Von Zwei-Komma-vier war die Rede, beziehungsweise mehr oder weniger. «Fortbestand des sommerlichen Wetters» hieß es am Schluß, und der Meteorologe zeigte es auf der sich ruckartig verschiebenden Computerkarte, daß über Mitteleuropa ein Hoch liegt, an das die Tiefs über England und Frankreich nicht herankommen.

    Danach war im Dritten eine Sendung zu sehen, die sich «Rock-Palast» nannte. «Out», sang ein Sänger:

    Out! Out! und vorbei!
Out! Out und vergessen …

    Sowtschick tastete blind nach seinen Broten und sah eine Weile dem schreiend-schwitzenden Sänger zu, der in eine mit kleinen Spiegeln bestickte Uniform des Siebenjährigen Krieges gekleidet war. Durch Verzerrungen des Gesichts machte dieser Mann es deutlich, daß das ziemlich anstrengend ist, hier so zu schreien, aber daß er das schafft. Scheinwerfer huschten über jubelnde Kindfrauen, die auf den Schultern jubelnder Jünglinge saßen.

    Im Zweiten Programm wurde ein australischer Film gesendet, in dem es um zwei Jünglinge ging, die ein Auto stehlen und es allmählich zu Schrott fahren. Nur seiner Kanalwechselei hatte es Sowtschick zu danken, daß er hineingeriet in diesen immer besser und besser werdenden Film. Witzig gemacht war die Sache (ein Kotflügel nach dem andern fliegt ab) und gut fotografiert: originelle Zwischenschnitte von ländlicher Idylle und im Hintergrund blaßfarbene, ausschwingende Landschaften.

    «Das ist ja gut!» rief Sowtschick und sah sich um, ob nicht einer da ist, mit dem er dieses Erlebnis teilen könnte. Aber es war niemand da außer den drei Hunden, die ihrem Herrn hierher gefolgt waren, weil sie ihm beim Essen zusehen wollten.

    Dies war also ein australischer Film gewesen. Nun ja, immerhin. Man würde es sich merken müssen, daß die Australier, die sich sonst damit beschäftigten, ihr Wappentier auszurotten und die Urbevölkerung unter Alkohol zu setzen, gute Filme machen können, genauso wie man sich die Tatsache gemerkt hatte, daß es an der Universität Adelaide einen Professor gab, der sich mit Sowtschicks Werken befaßte, wenn auch irgendwie irrig.

    Sowtschick verzichtete auf die zweite Ausgabe der Tagesschau, auf die
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