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Hundsleben

Hundsleben

Titel: Hundsleben
Autoren: N Förg
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Notarzt verständigt.«
    »Sonst haben Sie alles gelassen, wie es war?«, fragte
Gerhard.
    »Ja, war das nicht gut?«
    Er sah Gerhard mit seinen rehbraunen Augen an.
Hundeaugen, lange Wimpern, ein hübscher Kerl, dieser Moritz Niggl. Trotz seiner
fünf Millimeter kurzen Haare oder gerade deshalb.
    »Doch, sehr gut. Sehr umsichtig von Ihnen. Ist Ihnen
irgendwas aufgefallen, war irgendwas anders?«
    »Nein, wie immer, nur diese Stille, es war so
unerträglich still!« Er wischte sich kurz über die Augen.
    »Wie kommen Sie denn durch das Tor? Das Haus wirkt auf
mich sehr gut gesichert«, sagte Gerhard.
    »Ich habe eine Steckkarte und muss einen Code
eingeben.« Niggl fummelte in seiner Latzhose und reichte Gerhard die Karte.
    »Aha, wer kann denn noch das Tor öffnen?«
    »Frau Pfaffenbichler, Herr Eicher, Frau Eisele und
ich.« Tränen rannen ihm noch immer übers Gesicht, er hatte die Hand auf den
Kopf eines Schäferhundmischlings gelegt.
    »Können die Hunde irgendwohin?«, fragte Gerhard.
    »Ja, ich habe mit einer unserer Gönnerinnen
gesprochen. Sie nimmt sie auf. Es sind ja nicht mehr so viele.« Nun begann er
richtig zu weinen.
    Gerhard legte ihm linkisch die Hand auf die Schulter.
Weinende Frauen waren ihm schon ein Gräuel, aber heulende Männer? »Kann ich Sie
irgendwo erreichen?«
    Der junge Mann nickte und holte noch eine Karte aus
seiner Arbeitslatzhose. »Handy steht drauf.«
    Dann ging er, sieben Hunde an der Leine. Große und
kleine, er wirkte wie einer dieser Walker, die in Großstädten wie München die
Hunde viel beschäftigter Berufstätiger ausführten. Aber das war kein netter
Spaziergang an der Isar oder im Englischen Garten, das war Flucht, die
Vertreibung aus dem Paradies. Der größte Hund war ein schlaksiger Irish
Wolfhound, der auf einmal stehen blieb und zurücksah. Über die Zwinger blickte
er, und dann schaute er Gerhard an. Lange. In den Augen des Tieres lag ein so
tiefer Schmerz, dass Gerhard versucht war, wegzusehen. Aber er hielt dem Blick
stand. In dem Moment zerbrach etwas in ihm, aber es erwachte plötzlich ein
neuer Wille in ihm. Der Wolfhound hatte die Rute ganz kurz gehoben, das war
kein Wedeln, aber ein Lebenszeichen. Dann drehte er sich um und trottete neben
den Seinen her.
    »Ich erwische sie. Für dich, Kumpel!«, sagte Gerhard
leise, und dann musste er den Blick auf das richten, was er bisher nur aus den
Augenwinkeln registriert hatte. Insgesamt gab es zwanzig dieser
Luxus-Hundezwinger. Sechs schienen leer gewesen zu sein, sieben Hunde zogen mit
dem jungen Mann von dannen, sieben waren noch da. Sie hatten Galgen errichtet,
alle akkurat gleich hoch, zwei Meter, schätzte Gerhard, Querbalken, Stützbalken
– Galgen aus hellem Holz, sie sahen brandneu aus. Eine Galgenparade wie im
Holzfachmarkt. Sie hatten die Hunde aufgeknüpft, große und kleine. Das Schlimmste
war ein Jack Russell. Er hing da seltsam verdreht, die Zunge aus dem Maul …
Hatte er noch verzweifelt um sein kleines Hundsleben gekämpft? Gerhard fror,
ihm war übel, und dann auf einmal stieß er einen Schrei in die neblige
Dämmerung hinaus. Es war wie Wolfsgeheul, und Gerhard sah nochmals die Augen
des Wolfhounds. Das hier war anders. Das hier war Frevel. Ein Massaker an
Schwachen.

ZWEI
    Ein Mann war neben ihn getreten. Er trug eine
Latzhose, ein Thermohemd und Lodenstiefel, eine Mütze mit Fendt-Aufdruck.
    »Des san Irre«, sagte er nur.
    Als würde ihn das retten, als würde ein Mensch, ein
klarer Mensch ihn heilen können, fühlte Gerhard sich gleich besser.
    »Eicher, Flori, ich bin der Nachbar, ich helf ab und
zu aus, ich liefer Fleisch und so«, sagte der Mann.
    »Weinzirl, Gerhard, Kripo«, sagte Gerhard. Dann
standen die beiden Männer nur da. Eicher stopfte sich bedächtig eine Pfeife.
    »Seit wann sind Sie da, Herr Eicher?«, fragte Gerhard
nach einer langen Weile.
    »Ich bin dazugekommen, als der Notarzt durch den Ort
fuhr. Und Blaulicht und so. Wir waren grad beim Aufräumen, hatten ein Fest am
Hof, meine Frau hatte Geburtstag. Ich hatte so ein ungutes Gefühl, dass was auf
dem Gut los ist. So viel kommt ja dann nicht mehr dahinten.« Er machte eine
Bewegung in Richtung des Hohen Trauchbergs, der wie ein bedrohlicher schwarzer
Dinosaurierrücken den Himmel verdeckte und die Sicht auf die Alpen abriegelte.
    »Wann war das?«, fragte Gerhard.
    »Gegen elf. Ein Mordsaufzug. Wollte sehen, ob ich was
helfen kann. Sie sind ja dann auch bald danach gekommen.«
    Das glaubte ihm Gerhard sogar, der Mann
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