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Hundsleben

Hundsleben

Titel: Hundsleben
Autoren: N Förg
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wirkte nicht
wie ein Schaulustiger, der neugierig war und Maulaffen feilhielt. Gerhard hätte
so viel fragen können, ja müssen, aber er fühlte sich wie gelähmt. Die Worte
wollten nur sehr zähflüssig von seinen Lippen abtropfen. »Können Sie sie
abhängen?«, fragte er schließlich.
    Der Mann nickte bedächtig. »Soll ich sie begraben? Ich
mein, ist das erlaubt, bei so vielen?«
    »Sicher ist das erlaubt«, sagte Gerhard und wusste,
dass er log. »Ich würde gerne mal in das Haus gehen. Können Sie bitte
dableiben, damit ich dann noch mit Ihnen reden kann?«
    »Sicher, ich warte. Ich häng sie jetzt mal ab.«
    Wie das klang, nach Waschgluppen und »Keiner wäscht
reiner«-Werbung. Gerhard vermied es, zurückzusehen. Melanie und Felix sahen
beide etwas frischer aus, und obgleich Gerhard hier wahrlich nicht zuständig
war, spürte er, dass die beiden auf eine Weisung warteten, darauf, dass jemand
den Überblick hatte, Struktur in den Irrsinn brachte. »Fahrt ihr jetzt mal ins
Büro, Protokoll und so, ich klär das mit Schongau. Verschwindet!«
    Als das Polizeiauto gefahren war, senkte sich eine
ungute Stille über den Hof. Die Haustür stand offen, eine schwere Holztür war
das, die in einen dunklen Gang führte. Gerhard fand einen Lichtschalter, der
augenblicklich die Welt in gleißende Helle tauchte. Halogen-Lichtobjekte
tanzten über dem blütenweiß gekalkten Gang, italienische Terrakottafliesen
lagen zu seinen Füßen. War das Anwesen von außen auch marode, innen hatte
jemand beim Renovieren weder Geld noch Aufwand gespart. Gleich rechts gab es
eine Art Empfangsraum, Wartezimmer, Stüberl – wie immer man das nennen wollte.
Ein schwerer Holzschreibtisch, der allein wahrscheinlich ein Vermögen wert war,
stand da, dazu waren eher moderne Sessel in Türkis arrangiert. Hier wurden wohl
Interessenten empfangen. Ein dicker Ordner lag auf dem Tisch. Gerhard begann zu
blättern. Hier waren die Schicksale der einzelnen Hunde detailliert
beschrieben. Zu detailliert, wie Gerhard fand. Einer hieß Pueblo und war ein
Galgo, eine spanische Rasse für Hunderennen.
    Langsam begann Gerhard zu lesen:
    »Win«, englisch für »gewinnen« – das sollen die
Windhunde auf den Rennbahnen auf der ganzen Welt, und viel Geld sollen sie
einbringen. Dem Besitzer, dem Wetter und dem Staat, denn der verdient am
kräftigsten an den schnellen Hunden. Bloß sind sie nicht alle schnell, oder sie
waren mal schnell und kommen dann in die Jahre – und das ist beim Windhund
schon mit drei oder vier Jahren. Dann sind sie nutzlos und werden entsorgt, im
nettesten Fall gehen sie in sogenannte Dog Pounds, in denen sie ein Tierfreund
binnen einer Woche abholen könnte, was selten geschieht. »Glück« haben die, die
eingeschläfert oder erschossen werden, weniger Glück jene, die ertränkt werden
oder einfach irgendwo angebunden, wo sie qualvoll verhungern und verdursten.
Tierversuchslabors sind erfreut, wenn ihnen abgetakelte Windhunde verkauft
werden. Und die Restaurants, denn Hunde, die zum Beispiel auf Südkoreas Bahnen
ausgemustert werden – pikanterweise von einem großen Autohersteller und einem
Elektronikkonzern dorthin geschafft –, werden gegessen. Auch pikant: Hunderennen wurden in der EU aus
dem Landwirtschaftsetat finanziert, bis nicht zuletzt Tierschützerproteste aus
Deutschland mit etwa 42 000 Unterschriften dem Ganzen 1999 ein Ende machten.
Die EU fand ein Schlupfloch, nun
ist der Etat für »Kunst, Sport und Tourismusförderung« zuständig. Am
schlimmsten in Spanien: Viva España, das Urlaubsland voller Kultur und Badespaß
– so präsentiert sich Spanien den Touristen. Und dann stellen Sie sich vor, Sie
gehen in einem lichten mediterranen Wald spazieren und sehen einen Baum, an dem
ein Hund aufgehängt ist. Der Hund genügt den Anforderungen des Besitzers nicht
mehr und wird hingerichtet. Wenn er am Ende seiner Rennkarriere ungehorsam war
oder schlechte Rennen lief, wird er nicht »einfach aufgehängt«, sondern so,
dass er mit den Zehenspitzen noch trippeln kann, vier Tage lang kann der
Todeskampf dauern, tanzen nennen das die Spanier!
    Pueblo war so einer gewesen, eine Touristin hatte ihn
gerettet, dafür, dass er hier nun in der trügerischen Sicherheit aufgeknüpft
worden war. Er hatte neben dem Jack Russell gehangen. Gerhard spürte eine nie
gekannte Machtlosigkeit, dann brandete eine Welle von Wut heran. Er machte sich
nicht viel aus Tieren, aber er machte sich viel aus Fairness.
    In einem Aufsteller an der Tür
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