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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Autoren: Evelyn Sanders
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eigenen Namen auf den Grabstein meißeln lassen, lediglich das Datum ihres späteren Ablebens war offengeblieben, obwohl sie allen verkündet hatte, ihren Ernst wohl kaum länger als ein paar Monate überleben zu können – das war jetzt drei Jahre her.
    Eine Woche lang Luxus rund um die Uhr hatte der Prospekt versprochen, den Frau Reutter Tinchen gezeigt und gleichzeitig gefragt hatte, ob man nicht einfach für Frau Antonie mitbuchen sollte. So eine Schiffsreise auf der Donau sei nicht anstrengend, statt Sehenswürdigkeiten aufzusuchen, würden sie ja an einem vorbeiziehen und es würde Frau Pabst nur guttun, wenn sie mal auf andere Gedanken käme. Immerhin sei ihr Gatte seit fast einem Jahr unter der Erde, doch das Leben gehe schließlich weiter, und solange Frau Pabst gesund sei, solle sie es auch genießen. Ihre sechsundsiebzig Jahre sähe ihr ohnehin niemand an.
    Tinchen hatte dem Plan zugestimmt, Florian um einen Kredit gebeten, um die Reisekosten erst einmal vorstrecken zu können, und dann hatten sie gemeinsam angefangen, Frau Antonie die Schiffsreise schmackhaft zu machen. Nach langem Bedenken hatte sie endlich zugestimmt. »Das Trauerjahr ist zwar noch nicht ganz vorüber, doch ich glaube beinahe, heutzutage sieht man das nicht mehr so eng. Ich bin doch froh, mal wieder unter Leute zu kommen. Was meinst du, Ernestine, ob ich schon farbige Kleider tragen kann?«
    »Heißt das, du hast dich hier selbst begraben, weil du längst überholten Konventionen nachhängst?« Ganz entgeistert hatte Florian seine Schwiegermutter angesehen. »Läufst du nur deshalb immer noch als Schleiereule herum? – Aua!« Mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte er sein Schienbein gerieben, das wieder einmal Tinchens Schuhspitze zu spüren bekommen hatte. »Kannst du nicht mal das andere Bein nehmen?«
    »Und kannst du nicht erst mal denken, bevor du redest?« hatte sie zurückgezischt. »Oder findest du die Bezeichnung Schleiereule besonders taktvoll?«
    »Das nicht«, hatte er zugeben müssen, »aber treffend.«
    Anscheinend hatte Frau Antonie von diesem Dialog nichts mitbekommen, denn wenn sie sich auch nach langem Sträuben zu einer Brille hatte überreden lassen, die nun ständig an einer Goldkette auf ihrem nicht gerade unterentwickelten Busen baumelte, so weigerte sie sich immer noch beharrlich, auch ein Hörgerät zu benutzen. »Ich höre noch sehr gut!« hatte sie gerufen, und Tinchen war die einzige, die das insgeheim auch gar nicht bezweifelte. Hatte sie doch schon des öfteren festgestellt, daß ihre Mutter offenbar nur das hörte, was sie auch hören wollte. Wurde sie von ihrer Familie zu einem Essen im Restaurant eingeladen, dann verstand sie Datum und Uhrzeit ganz genau, bat man sie jedoch, sich ein Taxi zu nehmen, dann überhörte sie das geflissentlich; vielmehr rief sie eine halbe Stunde vorher an und wollte wissen, wann man sie denn abholen werde. Sie haßte es, ein Restaurant allein zu betreten, und die Vorstellung, eventuell am Arm eines Taxifahrers …? Undenkbar, sie war doch nicht gehbehindert!
    Die ›Schleiereule‹ hatte sie klugerweise nicht zur Kenntnis genommen, und Florian war gleich darauf in das nächste Fettnäpfchen getreten, indem er erklärt hatte, Trauerkleider machten ihre Träger grundsätzlich zehn Jahre älter (worauf Frau Antonie nun wirklich gar keinen Wert legte), und das sei wohl auch der Grund, weshalb jüngere Leute nicht mal mehr bei Beerdigungen welche anziehen würden.
    »Sie wissen heutzutage ohnehin nicht, was sich gehört«, hatte Frau Antonie gesagt. »Da hat sich doch die Ulrike unlängst erlaubt,
mich
ihrer Freundin vorzustellen!
Mich,
die ich fünfzig Jahre älter bin! Und was tut dieses merkwürdige Geschöpf? Mustert mich von oben bis unten, als sei ich ein Wesen von einem anderen Stern, und nuschelt bloß ›Hei‹. Was sagt ihr denn dazu?«
    »Schleiereulen sind eben vom Aussterben bedroht«, hatte Florian gemurmelt, doch diesmal wirklich nur ganz ganz leise.
    »Wer ist Ulrike?« hatte Tinchen gefragt und nicht daran gedacht, daß es sich um ihre Schwiegertochter Ulla handelte, deren eigentlicher Name allmählich in Vergessenheit geriet, weil niemand sie so rief. Ausgenommen natürlich Frau Antonie, die seit jeher der Auffassung war, jedes Kind erhalte seinen Namen aus einem bestimmten Grund, und den habe man zu respektieren. »Letztendlich haben sich die Eltern bei der Namensgebung etwas gedacht!«
    »Mit Ausnahme von euch!« hatte Tinchen gegiftet, »wer heißt denn
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