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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Autoren: Evelyn Sanders
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TAGEBLATT mehr, denn das hatte vor ein paar Jahren ein großer Konzern aufgekauft, einige Redakteure behalten und die anderen entlassen. Und nachdem auf die gleiche Weise noch zwei andere Zeitungen plattgemacht worden waren, wurde wenige Wochen später der ZEITSPIEGEL aus der Taufe gehoben. Florian hatte lange überlegt, ob er nicht das Handtuch werfen und sein Glück bei der Konkurrenz versuchen sollte, doch Tinchen hatte ihm klargemacht, daß das wohl wenig Sinn haben würde. »Sei froh, wenn sie dich überhaupt behalten, wo doch überall junge dynamische Leute nicht über fünfundzwanzig mit wenigstens zehn Jahren Berufserfahrung gesucht werden.«
    »Na schön, fünfundzwanzig bin ich nicht mehr, auch wenn ich mich immer noch so fühle. Manchmal wenigstens«, hatte er eingeschränkt, »doch die Erfahrung …«
    Weiter war er nicht gekommen, denn Tinchen hatte ihren Florian erst in die Arme genommen und ihm dann eine kalte Dusche verpaßt. »Weißt du, Flori, ein Mann ist zwar stets so jung, wie er sich fühlt, aber keineswegs so bedeutend.«
    Worauf Florian dreimal trocken schluckte, seinem Tinchen einen Kuß auf die Nasenspitze drückte und grinsend meinte: »Du hast ja recht, Tine, ich kenne auch einige Männer, die als Adler gestartet und als Suppenhuhn gelandet sind. Die paar Jahre bis zur Rente werde ich wohl auch noch unter der Fuchtel vom Doppeldoktor durchstehen.« Womit der neuernannte Chefredakteur gemeint war, ein Herr Dr. Dr. Vandevelde, dem das Talent nachgesagt wurde, mit wenig Arbeitsaufwand viel zu erreichen. Er verstand es meisterhaft, Arbeit zu delegieren. So wurde gemunkelt, seine oft messerscharf geschliffenen Leitartikel lasse er von einem begabten Studenten schreiben, sein Insider-Wissen stamme vom Golfplatz, wo er häufig anzutreffen war, und sein zweiter Doktortitel sei gar nicht echt, sondern nur honoris causa, verliehen von einer südamerikanischen Universität, die für kleine Zuwendungen recht dankbar sein sollte. Für größere fiele angeblich das h.c. weg.
    Es hatte lange gedauert, bis sich Florian mit der ›Verweigerung‹ seines Sohnes abgefunden hatte. Genaugenommen hatte er sie erst dann akzeptiert, als Tobias seinen Zivildienst beendet und auf die Frage seines Vaters, womit er denn künftig seine Brötchen zu verdienen gedächte, erwidert hatte: »Handwerk hat bekanntlich goldenen Boden, was in meinem Fall sogar wörtlich zu nehmen ist. Ich werde nämlich Goldschmied!«
    »Dazu hättest du kein Abitur gebraucht!«
    »Eben! Hättest du mich damals, als ich klebengeblieben war, runtergenommen, dann hätte ich jetzt schon meine Gesellenprüfung in der Tasche. Aber nein, lieber Nachhilfestunden bis zum Gehtnichtmehr, ein Gnaden-Abi mit Vierkommanull, und danach auf die Uni, weil sich der ganze Auftrieb sonst ja nicht ausgezahlt hätte. Nein danke, ohne mich! Im Zeitalter der Gleichberechtigung ist doch völlig egal, wer die Familienehre rettet. Julia hat ein helles Köpfchen, baut bestimmt ein Einser-Abitur, studiert mal chinesische Philosophie oder Astrophysik oder etwas anderes furchtbar Wissenschaftliches, und wenn sie den Nobelpreis kriegt, schmiede ich ihr den Goldrahmen, mit dem sie die Urkunde an die Wand nageln kann.«
    Nachdem sich Florian mit den Berufsplänen seines Sohnes intensiv auseinandergesetzt hatte, fand er sie gar nicht mehr so abwegig. Immerhin gab es ja schon einen Goldschmied in der Familie, nämlich Tinchens Bruder Karsten. Er hatte aus dem ehemaligen Uhrmacherladen seines Vaters ein gutgehendes Juweliergeschäft gemacht, vor zwei Jahren sogar eine Filiale eröffnet und beschäftigte inzwischen neun Mitarbeiter; außerdem hatte er seinem Neffen schon vor vielen Jahren künstlerisches Talent bescheinigt. Damals hatte Tobias aus der Werkstatt seines Onkels zwei kleine Smaragde stiebitzt, was naturgemäß zu erheblicher Aufregung und haltlosen Verdächtigungen geführt hatte. Zum Glück hatte Karsten auf Einschaltung der Polizei verzichtet, denn wenige Tage nach dem vermeintlichen Diebstahl waren die Steine wieder aufgetaucht, und zwar auf Tinchens Geburtstagsgeschenk: Zwischen unzähligen weißen Mini-Wachsperlen, aus denen Tobias auf Moosgummi eine Eule zusammengeklebt hatte, glühten zwei grüne Augen, die von allen Besuchern bewundert und als Glassteine angesehen wurden. Bis Onkel Karsten gekommen war!
    Tinchen fand den Berufswunsch ihres Sohnes völlig in Ordnung. »Ich weiß ja nicht, was bei Karsten unterm Strich übrigbleibt, aber neulich hat er gesagt,
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