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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen
Autoren: Evelyn Sanders
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ist. Sie haben natürlich recht! Aber wie viele Flüsse gibt es denn nun wirklich in Australien? Ich kenne bloß einen, habe aber den Namen vergessen. Weiß den jemand?«
    Allgemeines Kopfschütteln. »Dabei haben wir ihn doch alle mal gelernt, nicht wahr?« Betretenes Nicken. »Also hat Thorsten
doch
recht! Er findet nämlich, den Blick auf die Welt versperre das Geographiebuch!«
    Es dauerte nicht mehr lange und Tinchen kam sich vor wie in der legendären
Feuerzangenbowle,
wo gestandene Männer alkoholselig ihre Schülerstreiche erzählen. Sie fand es nur eigenartig, daß Männer auf diesem Gebiet ganz eindeutig ein besseres Gedächtnis hatten als Frauen. Weder Frau Evert noch sie selbst konnten mit einem ähnlich umfangreichen Repertoire aufwarten. Was war schon eine mit Seife eingeschmierte Tafel gegen ein zugemauertes Lehrer-Klo?
    Von der Schule ging es beinahe nahtlos zur Universität über, doch bei der Schilderung studentischen Lebens mußte Florian bald passen, er hatte es ja nur zwei Semester lang mitgemacht. Dafür konnte er bei den kleinen Anekdoten aus dem Berufsleben wieder Boden gewinnen, denn in einer Zeitungsredaktion geht es erheblich lebhafter, um nicht zu sagen turbulenter zu, als in einer Anwaltskanzlei.
    Es war schon halb zwölf und zweieinhalb Weinflaschen später, als der Gastgeber die Rechnung verlangte. Während der Kellner mit Silberteller und der unter einer Serviette verborgenen Kreditkarte in den hinteren Räumen verschwand, beendete Herr Evert die Schilderung seines beruflichen Werdegangs. »Sehen Sie, Herr Bender,
deshalb
bin ich damals nicht in den Staatsdienst gegangen, um Richter zu werden, sondern Anwalt geblieben. Lieber rede ich ein paar Stunden täglich selber Unsinn, als mir so etwas den ganzen Tag lang anhören zu müssen.«
    Schon vor zwei Stunden, also etwa zwischen dem dritten und vierten Semester, als Herr Evert beim Juristenball und der heimlich mit Wodka verfeinerten ›Damenbowle‹ angekommen war, hatte seine Frau mit Florian den Platz getauscht, so daß sie nun neben Tinchen saß. »Jetzt kann es eigentlich nicht mehr lange dauern, bis sie bei der Politik landen und verbal die Regierungsgeschäfte dieses unseres Landes übernehmen. Dabei kann es doch unmöglich allzu schlimm um die Wirtschaft eines Volkes bestellt sein, dessen quälendste Probleme sind, wie man schlanker wird und wo man parken kann.« Dann musterte sie Tinchen ganz ungeniert. »Wie machen Sie es, daß Sie Ihre beneidenswerte Figur behalten? Sport oder Diät?«
    Tinchen lachte laut los. »Nahrungsmangel! Seitdem Björn im Haus ist, bleibt bei keiner Mahlzeit mehr genug für mich übrig. Erst in letzter Zeit werde ich hin und wieder satt. Offenbar hat sich die Aufnahmekapazität seines Magens auf einen normalen Teenager-Level eingependelt.«
    Jetzt war es Frau Evert, die zu lachen begann. »Seit wann?«
    »Ungefähr seit drei oder vier Wochen.« Tinchen stutzte. »Fragen Sie aus einem besonderen Grund?«
    »Ich glaube, wir teilen uns in die Ernährung Ihres Neffen!« Und als sie Tinchens entsetztes Gesicht sah: »Jetzt sagen Sie bitte nicht, das sei Ihnen peinlich! Seitdem Björn häufiger bei uns ißt, ernährt sich Thorsten auch nicht mehr nur von Pizza und Hot Dogs. Er hatte nämlich eine Zeitlang das spießige Zeremoniell mit Serviette und Besteck satt.«
    »Trotzdem geht es nicht, daß Björn …«
    »Im Gegenteil! Mein Mann und ich sind froh über diese Freundschaft, denn Thorsten fing an, aus dem Ruder zu laufen. Er ist nun mal der Benjamin, der Nachkömmling, acht Jahre jünger als sein Bruder, wurde wohl ein bißchen zu sehr verzogen, und das rächt sich jetzt. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat er uns erklärt, unter den gegebenen Verhältnissen wolle er später überhaupt nicht arbeiten, nur haben wir aus ihm nicht herauskriegen können, ob er gegen die Verhältnisse ist oder gegen die Arbeit. Seit seinem Besuch in der Redaktion schließt er einen Broterwerb wenigstens nicht mehr generell aus. Glauben Sie mir, Frau Bender, wenn unser Sohn diesen Sinneswandel weiter konkretisiert, dann füttere ich Ihren Björn liebend gerne bis zum Abitur durch!«
    Während sich die Erwachsenen an Entenbrustfilets in Preiselbeersahne und Dattel-Weincreme auf Florentinern gütlich taten, saßen ihre Nachkommen im Hause Bender am Küchentisch und kauten Frikadellen aus dem Gefrierschrank.
    Als Dessert war ›Käsekuchen für Diabetiker‹ vorgesehen. Niemand in der Familie war zuckerkrank, doch Tinchen
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