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Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Horror Factory - Der Behüter(German Edition)

Titel: Horror Factory - Der Behüter(German Edition)
Autoren: Malte S. Sembten
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angelehnte Krücke wieder an sich und schwang sich über die Schwelle. Der Behüter folgte ihr. Als beide im Zimmer waren, hielt Alenka das Gleichgewicht auf der linken Krücke und drückte mit dem unteren Ende der rechten gegen die Tür, bis sie einrastete. Dann humpelte sie zum Bett, setzte sich darauf, lehnte die beiden Krücken an die Wand, hob die Beine, vollführte auf dem Hintern eine Vierteldrehung und streckte sich aus. Nach einem Tag voller Gymnastik und Krafttraining hatte sie soeben im Patienten-Speisesaal zu Abend gegessen. Der Rest des Tages gehörte ihr.
    Der Behüter war an der Zimmerwand neben der Tür stehen geblieben und sah Alenka mit eishellen Augen ausdruckslos an. Er war zwei Meter groß, besaß Schultern so breit wie ein Ochsenjoch und Hände wie Baggerschaufeln. Aber ihr die Tür aufzumachen, dazu ließ er sich nicht herab.
    Alenka hatte das Sakrament durchgestanden. Sie hatte das Sakrificium überlebt. Sie hatte zwei Operationen und fünf Wochen im Krankenhaus hinter sich. Seit drei Wochen wurde sie in der Reha-Klinik wieder fit gemacht. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass ihre Probleme erst begannen.
    Ihre zwanzigtausend Euro teure Ducati war ein Haufen Schrott. Gut, das war einkalkuliert gewesen. Das Sakrificium war eine selbstmörderische Wette auf einen unsichtbaren Retter. Alenka hätte nicht vom Hochhaus springen oder sich vor den Zug werfen mögen. Falls sie sterben würde, dann wollte sie als Bikerin sterben. Und Biker starben wie Cowboys – im Sattel.
    Doch statt zu sterben, hatte sie ihr Leben behalten. Verloren hatte sie ihren Führerschein. Man fuhr nämlich nicht ungestraft mitten in der Nacht splitterfasernackt und ohne Licht auf einer öffentlichen Straße mit hundertdreißig Sachen ein Motorrad gegen den Baum. Alenkas vermeintlicher Suizidversuch wurde der Gewalttat zugeschrieben, die sie erlitten hatte. Allerdings bohrte die Psychologin nach einer Antwort, warum Alenka sich vor der Selbstmordfahrt Hunderte kleiner Schnittverletzungen beigebracht hatte.
    Aber das größte Problem war der Behüter. Bereits Rorga, die Priesterin, hatte ihr eine Illusion geraubt. »Der Behüter ist kein Lakai«, hatte Rorga gemahnt. »Er wird nicht für dich arbeiten. Er wird dir nicht die kleinste Handreichung gewähren. Er ist einfach nur da und passt auf dich auf – wie vorher, als er noch unsichtbar war.«
    Justine musste jetzt oft an die Zeilen aus dem Schutzengel-Gebet denken, das ihre Großmutter ihr beigebracht hatte: … Bei jedem Schritt, bei jedem Tritt, geh du, mein lieber Engel, mit. Wo ich auch geh, wo ich auch steh, sei du, mein Engel, in der Näh’ … Das mochte tröstlich und beruhigend sein, solange man sich den allgegenwärtigen Aufpasser nur vorstellte. Aber ein menschenähnliches Wesen aus Fleisch und Blut, das wie ein Schatten an einem klebte, war eine ganz andere Sache. Keine noch so intime Lebenssituation blieb mehr unbeobachtet. Adieu, Privatsphäre! Nicht eine Sekunde lang hatte Alenka sich vor dem Empfang des Sakraments gefragt, wie Justine und Gordian das auf die Dauer ertrugen.
    Das Aussehen ihres Behüters hatte die nächste Ernüchterung gebracht. Die Behüter von Justine und Gordian wirkten einschüchternd. Aber ihrer war der reinste Kinderschreck. Es lag nicht nur an seiner Breite und Höhe und seinem Ork-Gesicht. Sein ganzer ungeschlachter Leib schien fast nur aus Narbengewebe zu bestehen. Einige Narben waren relativ frisch. Sie stammten von seiner Auseinandersetzung mit den Behütern der Vergewaltiger. Dies gehörte zu den wenigen Dingen, die sie ihm hatte entlocken können.
    Ganz am Anfang hatte sie ihn gefragt, ob er einen Namen habe.
    »Behüter«, hatte die Antwort gelautet.
    »Ich nenne dich Jeliel.«
    Darauf war keine Reaktion erfolgt.
    Also Jeliel. Jeliel Hatenbur, hatte sie im Unterbringungsvertrag der Reha-Klinik eintragen lassen. Denn weil der Behüter nun einmal nicht von ihrer Seite wich, gab sie ihn als ihren Ehemann aus und bezahlte den kostspieligen Aufschlag für ein Zweibettzimmer. Natürlich erregte Alenkas angeblicher Gatte unerbetenes Aufsehen. Er verschreckte das Personal und die Mitpatienten. Wahrscheinlich hielt jedermann die junge Frau, die im Ehestand mit einem solchen Monster lebte, für pervers.
    Jeden Abend zerwühlte Alenka eigenhändig das zweite Bett, damit am nächsten Morgen die Zimmermädchen nicht merkten, dass nie jemand darin schlief. Denn Jeliel verbrachte Nacht für Nacht stehend neben Alenkas Bett.
    Aber letzten Endes
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