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Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Titel: Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
Autoren: Joachim Masannek
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gewesen und hatte den Ring der Witwe geraubt. Der Witwe … wie hieß sie? Es war Will entfallen. Die Kälte raubte ihm die Sinne, und bevor er weiterdenken konnte, musste er etwas zum Anziehen finden. Er drehte sich um und jauchzte vor Freude, als er erkannte, wo er war. Im Palast aus Eis, der sich wie eine mit Zuckerguss überzogene Pagode an den Fuß eines Eisbergs schmiegte. In ihm hatten Whistle und Chen gelebt, als sie noch jung gewesen waren und frisch verliebt. Oh, da waren sie wieder. Die Namen kehrten langsam zurück und schon rannte Will in den Palast. Er flog durch die Hallen und unzähligen Zimmer und dachte an die Zeit zurück, als er mit Hannah hier gewesen war. Ja, hier hatten sie der Piratin nach ihrem Verrat die Springwarzenlügenpest an den Hals gewünscht. Doch das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Will fand Kleider von Whistle, die ihm gehört hatten, als der so jung gewesen war wie er. Er fand Holz, machte Feuer und briet sich den Fisch, den er gefroren in den Kühlhäusern fand. Er schmolz Wasser und stillte den gierigen Durst, den sein Körper nach dem Flug durch die Lava plötzlich empfand. Er kochte sich Tee und genoss dessen Wärme. Er lehnte sich müde in einem Sessel zurück, und erst dann begann er sich darüber zu wundern, dass er noch am Leben war. Dass er jetzt hier war, und während die Sonne hinter dem letzten Horizont versank, schloss er die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, wer ihn gerettet und gerade hierher an diesen Ort gebracht haben könnte.
    Will flog noch einmal durch die Lava, und er dachte, er müsste an der roten Hitze ersticken. Er sah seine Freunde. Sie verbrannten alle um ihn herum. Sie trieben brennend an ihm vorbei, und auch wenn er sich sagte, dass das nur ein böser Traum war, konnte er ihm doch nicht entfliehen. Dann schoss er ins Blau. Ins Blau des Himmels. Flügel öffneten sich im Sprung. Sie breiteten sich wie Blüten aus. Die dreifingrigen Krallen hielten ihn sicher und so flog er in die Nacht. Die Nacht und den Tag, und irgendwann, als er vor Hunger, Durst und Erschöpfung nicht mehr denken konnte und wollte, fiel er aufs Eis. Er sah den Schatten über sich flattern. Der durfte das Eis ja nicht berühren. Eis war aus Wasser und das wirkte wie Säure und trotzdem war der Kopf des Wesens sehr nah. Will sah seine Nase, Hannahs Nase, und die schiefen Ohren, die Ohren von Finn. Er sah die gelben Haifischaugen und er spürte die Kralle auf seiner Schulter.
    »O nein, bitte nicht, bitte nicht meinen Rücken!«, stammelte Will.
    Da vernahm er das Glucksen. Es wirkte ungeduldig und zornig, und Will begriff endlich, dass er zuhören sollte. Doch wie sollte er diese Geräusche verstehen?
    Da bohrte das Wesen eine seiner drei Krallen in Wills Bauch genau durch den Nabel. Und als wären sie jetzt miteinander verbunden, verstand Will seine Sprache:
    »Beweise mir, dass du die Wahrheit sagst. Dass du dich liebst, dir vertraust und dass andere dich deshalb zu lieben vermögen. Dann komme ich wieder. Dann diene ich dir und dann befreie ich mit dir die Welt.«
    Doch Will hörte nicht zu. Er war halb wahnsinnig vor Sorge. Sorge um Hannah und Jo und seine anderen Freunde. Um die vierhundert Kinder.
    »Wo sind Hannah und Nat und Jo und die andern? Wo sind die Kinder? Habt ihr sie alle umgebracht?«
    Er packte das Wesen bei den Schultern und das stach deshalb noch fester zu.
    »Wozu brauchst du die anderen?«, gluckste es zornig. »Es geht hier um dich. Liebe dich selbst, vertraue dir, hörst du, und tu nicht das, was ein anderer will. Hast du das verstanden?«
    Will hörte nicht zu. Er schrie jetzt vor Trauer.
    »Sie sind alle tot. Ihr habt sie getötet. Das wollte ich nicht!«
    Er schreckte schreiend aus dem Schlaf. Er sprang aus dem Sessel. Er lief aus dem Schloss und starrte aufs Eis.
    »Sie sind alle tot. Ich hab alle verloren. Und ich trage die Schuld!«
    Ja, ohne ihn würden seine Freunde jetzt friedlich und glücklich auf ihrer Insel leben.
    Will fiel auf die Knie und zum ersten Mal in seinem jetzt fast schon 17jährigen Leben war er wirklich am Ende. Es gab keinen Ausweg. Er hasste sich selbst. Er war ein mieser Verräter. Er verabscheute und verachtete sich, und das Abenteuer, ha, das Abenteuer, das ihm bisher immer am wichtigsten war – wichtiger sogar als Freiheit –, war jetzt für immer aus und vorbei.

Der letzte Pirat

    as Abenteuer ist vorbei! Das war der Satz, der unablässig in Wills Kopf ertönte. Oder nein, anders: Das Leben war kein Abenteuer,
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