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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch
Autoren: Jutta Mehler
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Nummernschilder waren teils deutsch, teils tschechisch, die Marken so gewöhnlich, dass Irina keinen der Wagen eines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Keinen, bis auf einen weißen BMW, der etwas abseits stand.
    Von da an nutzte Matyáš jede Gelegenheit, um einen Abstecher nach Zelezná Ruda zu machen und nach Irina Ausschau zu halten. Er sah sie noch zwei-, dreimal im Haus verschwinden, und immer stand der weiße BMW in der Nähe. Als er Irina wieder einmal ins Haus gehen sah, der BMW jedoch fort war, ging er hin und klingelte. Irina öffnete, kaum dass er vor ihrer Wohnungstür stand.
    Als Matyáš sie sah, verschlug es ihm die Sprache. Sie trug nichts als Goldfransen, die an einem Ring um ihren Hals befestigt waren.
    Irina reagierte schneller als Matyáš.
    Sie wünschte ihn zum Teufel.
    »Macht Augen kalt wie Eis, sagt: ›Geh weg, Matyáš Labém! Will ich nicht Bäckerssohn, nicht einmal für Sterbenmüssen‹.«
    Das schlug die erste große Bresche in Matyáš’ Gutmütigkeit.
    Er fuhr nach Hause und berichtete Alena, was er erlebt hatte. Sie riet ihm, Irina zu vergessen. »Kind ist verdorben, verkorkst. Hat falsches Weg genommen. Such dir andere, Matyáš, such dir gute Frau. Hast du gute Frau verdient.«
    Aber es bohrte und arbeitete in Matyáš. Er konnte es nicht lassen, immer wieder nach Zelezná Ruda zu fahren und die Wohnung zu beobachten. Einmal hörte er Lachen aus einem der Fenster im oberen Stock. An der Straße stand der weiße BMW.
    An diesem Tag reifte in Matyáš der Gedanke, Irina Furcht einzujagen. Immer wieder malte er sich aus, wie sie vor Angst zitterte, wie sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als Schutz bei ihm, in seinem Heim in Bergreichenstein zu suchen.
    Bald darauf packte er ein paar Sachen, verließ das Elternhaus, suchte sich in Böhmisch Eisenstein ein billiges Zimmer und schmiedete Pläne.
    Was, wenn er Irina entführte und sie eine Zeit lang bei Wasser und Brot in einem Keller gefangen hielt? Aber vor wem, überlegte Matyáš, müsste sie dann Angst haben? Doch wohl vor ihm.
    Er entwarf und verwarf und wollte schon wieder aufgeben, da fiel ihm eines Abends im Kofferraum seines Wagens der alte Wildererstutzen ins Auge. Er hatte die Büchse Ende August in der Scheune neben der Bäckerei gefunden, die er zusammen mit seinem Vater abriss, um Platz für eine neue Garage zu schaffen. Mit dem Vorhaben, den Stutzen bei Gelegenheit auf dem Schwarzmarkt zu verhökern, hatte er ihn in ein dunkles Tuch eingewickelt und in den Kofferraum gelegt.
    Oh ja, eine Spukgestalt mit altertümlicher Büchse im Anschlag würde Irina Angst einjagen, dachte Matyáš. Und kurz darauf würde ihr Retter auftauchen: Matyáš Labém.
    Gelingen konnte so ein Plan allerdings nur im passenden Umfeld. Vorzugsweise im dunklen Wald. Doch das würde kein Problem darstellen, der Wald fing ja gleich hinter der Waldhausalm an. Matyáš musste Irina bloß abpassen.
    Am Sonntag, den 17. September fuhr er am Nachmittag zur Waldhausalm, versteckte den Wagen hinter einem Schuppen und begann vorsichtig, die Alm zu umkreisen. Er sah Irina die Gäste bedienen, die unter dem Vordach an einem Biertisch saßen.
    Matyáš hockte sich in eine grasige Mulde in der Nähe des Hintereingangs, beobachtete und wartete. Nach einer Weile erschien ein junger Bursche in der Tür und zündete sich eine Zigarette an. »Kommst du nach deiner Schicht mit nach Zwiesel?«, rief er ins Haus. »Wir könnten …«
    »Ganz bestimmt nicht«, tönte Irinas Stimme recht schroff zurück.
    »Was machst du denn, wenn du hier fertig bist?«, rief der Bursche.
    Matyáš spitzte die Ohren. »Falkenstein … Heide und Annabel … übers Höllbachgspreng.«
    Er konnte sein Glück kaum fassen. Irina würde am Höllbach entlang auf den Falkenstein laufen, und genau dort wusste Matyáš eine Stelle, die für Geistererscheinungen wie geschaffen war: die Felsnische unter der Steilwand, gleich hinter den Trittsteinen, über die der Wanderweg den Bach querte.
    Matyáš holte den Stutzen aus dem Wagen und machte sich auf den Weg.
    Er hatte viel Zeit, alles vorzubereiten – das schwarze Tuch legte er sich als Umhang um – und genau die passende Stelle für seinen Auftritt zu finden.
    Erst nach gut einer halben Stunde tauchte Irina auf.
    Matyáš brachte die Flinte in Anschlag.
    Irina erstarrte, als sie sein Gesicht über dem Gewehrlauf sah.
    Und dann ging alles schief.
    Irina hielt ihn nicht für einen spukenden Räuber Kneissl, sondern für den schwer gekränkten
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